Prof. Dr. Melanie Richards, TU München
Schwerpunkt-Thema

Die Kunst des Übergangs

Die Wirtschaft Bayerns ist traditionell von Familienunternehmen geprägt. Nun steht in vielen Betrieben ein Generationenwechsel an. Wie dieser am besten gelingt? Ein Interview mit Prof. Dr. Melanie Richards, die an der Technischen Universität München genau zu diesem Thema forscht
Interview: Martin Fraas

Vielen Familienunternehmen in Bayern steht die nächsten Jahre ein Generationenwechsel bevor. Sind Sie optimistisch, dass dieser Prozess problemlos gelingen wird?

Bei einer Umfrage des ifo Instituts in 2023 sagten über 40 Prozent der befragten Familienunternehmen, dass in den nächsten drei Jahren eine Unternehmens- oder Anteilsübertragung ansteht. Gleichzeitig geben auch über 40 Prozent an, dass es noch keinen fami­lieninternen Nachfolger gebe. Da stellt sich schon die Frage: Wie viele Fami­lien­unter­nehmen werden es tatsächlich in die nächste Generation schaffen? Die „Generation Z”, die nun vom Alter her die Nachfolge antreten könnte, schätzt durchaus die Geborgenheit der Familie, möchte jedoch gleichzeitig ­autonom und mit flachen Hierarchien arbeiten. Daher glaube ich, dass diese Generation überwiegend die Möglichkeiten und Chancen erkennt, die ein Familienbetrieb bietet. Insofern blicke ich optimistisch in die Zukunft.

Prof. Dr. Melanie Richards

Prof. Dr. Melanie Richards

gilt als eine der renommiertesten Wissenschaftlerinnen im Bereich der Forschung über Familienunternehmen

Damit der Übergang gelingt, muss die bisherige Unternehmensleitung auch wirklich bereit sein, der nächsten Generation Verantwortung zu übertragen.

Die Gefahr ist natürlich gegeben, dass sich der „Patriarch” oder die „Patriarchin” zu lange an der Führung festkrallt, was dem Unternehmen sehr schaden kann. Man muss aber auch die ältere Generation verstehen, denn der Verlust der Führungsverantwortung ist oft auch mit einem Statusverlust verbunden. Die Angst besteht, dass das eigene Lebenswerk, das man über Jahrzehnte hinweg mit extremem Einsatz von Zeit, Energie und Leidenschaft aufgebaut hat, einer scheinbar unsicheren Zukunft ausgesetzt wird.

Was genau würden Sie also vorschlagen?

Man sollte den Übergang rechtzeitig und detailliert planen. Beispielsweise kann man einen Fünfjahresplan für die Übergangsphase entwickeln. In ihm sollten die künftigen personellen Verantwortlichkeiten präzise definiert werden. Aber auch Strategien, Werte, die Marketingausrichtung und Geschäftsentwicklung können festgelegt werden. Ein solcher Plan, in Kombination mit einer generellen „Family Governance“ – damit ist das gesamte Set aus Strukturen, Regeln, Werten und Zielen zur Steuerung der betreffenden Familie und des Familienunternehmens gemeint –, ist sehr hilfreich. So wird unter anderem der Einfluss der Eigentümerfamilie im Unternehmen geregelt, damit der Übergang möglichst organisch, reibungslos und ohne Streit gelingt. Denn die Nachfolge soll kein Ereignis sein, sondern ein Prozess.

Raten Sie zu einem weichen Übergang hin zur nächsten Generation oder zu einem harten Schnitt?

Es hat sich bewährt, die Vorgänger­generation zumindest für eine Übergangszeit weiterhin ins Unternehmen einzubinden und so von ihrer Erfahrung und dem Netzwerk zu profitieren. Vorstellbar ist, dem scheidenden Unternehmensleiter einen bestimmten Bereich zu übertragen, für den er ­weiterhin verantwortlich ist.

Häufig ist der Wissensschatz eines Familienunternehmens in einer Person gebündelt. Ist das nicht generell ­riskant? Denken wir zum Beispiel an ­einen unerwarteten Schicksalsschlag.

Die Konzentration auf eine Person hat Vor- und Nachteile. Unter einer verantwortungsvollen Leitung kann sich diese Konzentration auf ein oder wenige ­Familienmitglieder durchaus positiv auf die Unternehmenskultur und die Identität eines Familienunternehmens auswirken. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die Prozesse nicht so klar geregelt und dokumentiert sind, dass der Nachfolger oder die Nachfolgerin eine solide Arbeitsgrundlage und ­belastbare Konzepte hat. Es empfiehlt sich also dringend, das Management auch in Familienbetrieben so breit aufzustellen, dass das Unternehmenswissen nicht komplett auf eine Person fokussiert ist.  

Nicht selten wird die Leitung von Familienunternehmen, besonders in Notfallsituationen, an den Partner übergeben, der mitunter weniger fachliche Erfahrung hat. Macht das ­Ihrer Einschätzung nach Sinn?

Wenn der Partner nicht die entsprechende Ausbildung und fachliche Expertise hat, finde ich es eher schwierig. Gleichzeitig kann es in Extremsituationen schon mal eine gute Lösung sein, weil damit die Familienkultur erhalten bleibt. Auch da macht es sich bezahlt, wenn über die jeweiligen Firmenchefs hinaus andere Personen intensives Unternehmenswissen und Einblicke in die Prozesse besitzen. Zusammen mit ihnen kann der Partner dann, zumindest übergangsweise, die Unternehmensstruktur wahren und den Betrieb so lange weiterführen, bis eine ideale Lösung gefunden ist und gegebenenfalls die nächste Generation ins Management einsteigen kann.

Die Nachfolge soll kein Ereignis sein sondern ein Prozess

Diese nachfolgende Generation bekommt oft hautnah mit, welchen zeitlichen und emotionalen Aufwand es bedeutet, einen Familienbetrieb zu leiten – inklusive stetig zunehmender Bürokratie und hoher Haftungsrisiken. Wirkt das generell abschreckend auf die Nachfolgegeneration? Denken wir an den Modebegriff Work-Life-Balance.

Generell sind Familienunternehmen sehr gut darin, das Bedürfnis nach Work-Life-Balance abzufedern, weil die Businesslogik mit der Familienlogik verschmilzt. Man arbeitet mi­t hoher Eigenverantwortung. Wenn zum Beispiel das Kind mal krank ist, lässt sich oft kurzfristig und unbürokratisch der Zeitplan ändern. Womit sich Familienunternehmen oft noch schwertun, ist dagegen das wachsende Bedürfnis beziehungsweise Selbstverständnis der jüngeren Generation, im Homeoffice zu arbeiten. Denn ein Familienunternehmen lebt auf allen Ebenen vom direkten Austausch, eben vom „Familiengefühl“. Da braucht es auf jeden Fall neue ­Modelle. Und das nicht nur für die ­Führungsebene, sondern für alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Ein Auslaufmodell ist sicher das klischeehafte, aber immer noch existente Muster, dass das Familienoberhaupt, bisher meist noch männlich, sich für die Arbeit „aufopfert“. Diesen Weg gehen in der nächsten Generation besonders die Frauen meist nicht mehr mit.

Sie sprechen von neuen Modellen. Wie könnten die aussehen?

Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, Co-Leadership-Teams, bestehend aus Geschwistern oder engen Verwandten, die künftige Führung anzuvertrauen. Das erhöht die Vereinbarkeit von Familie und Unternehmen. Eine weitere Möglichkeit ist es, ein Führungsteam aus Mitgliedern der Familie sowie ­externen Managern zu bilden, die aus einer unabhängigen Perspektive auf das Unternehmen blicken. Das kann gut funktionieren, solange die Harmonie untereinander gesichert ist. Besonders bei kleineren Familienunter­nehmen beobachte ich auch, dass die ältere Generation, wenn sie sich aus dem operativen Geschäft zurückzieht, als Stütze für die nächste Generation wirkt und sie entlastet. Beispielsweise, indem sie auf die Enkelkinder aufpasst.

Nicht alle möglichen Nachfolger haben gleichzeitig Talent, eine gute Ausbildung und dazu die Motivation, das ­Familienunternehmen zu übernehmen.

Wir haben genau zu diesem Thema eine Umfrage in über 1.000 Familienunternehmen gemacht. Die Fragestellung war: „Sie wollen das Unternehmen über­geben und haben ein Kind, das sehr talentiert ist. Aber es ist sich nicht so richtig sicher, ob es ins Familienunternehmen einsteigen soll. Sie haben ein zweites Kind, das grundsätzlich weniger geeignet scheint, aber eine sehr hohe Motivation mitbringt. 

Dann gibt es noch einen externen Kandidaten, der talentiert und gleichzeitig motiviert ist. Wem würden Sie die Führung anvertrauen?“ Das Ergebnis: Der externe Kandidat schnitt am schlechtesten ab. Und überraschend: Die beiden Kinder landeten ungefähr auf demselben Level. Was heißt, dass Motivation für die Leitung eines Familienunternehmens immer noch sehr hoch gewichtet wird. Es gibt aber Ausnahmen …

… und die wären?

Wenn das Unternehmen unterdurchschnittlich performt, ist man eher dazu bereit, eine externe Leitung zu verpflichten und sich somit Expertise von außen zu holen. Auch die Präferenz für das talentierte, jedoch weniger motivierte Kind nimmt in so einem Fall zu.

Die Konzentration auf eine einzige Führungsperson hat Vor- und Nachteile

Sie erwähnten bereits eine mögliche Co-Leitung innerhalb der Familie als Möglichkeit für den Generationenwechsel. Doch nicht immer sind die infrage kommenden Familienmitglieder in Harmonie miteinander verbunden. Macht es trotzdem Sinn, sie zusammenzuspannen?

Meiner Erfahrung nach macht es sich in solchen Fällen bezahlt, einen Coach ins Boot zu holen. Er oder sie kann wesentlich dabei helfen, die verschiedenen Interessen und Temperamente auszugleichen und auszuloten, ob eine gemeinsame Führung die richtige Lösung für das Unternehmen ist.

Gibt es eigentlich einen perfekten Zeitpunkt für die Unternehmensübergabe?

Der Zeitpunkt ist natürlich sehr individuell. Aber es empfiehlt sich, den Ausbildungsstatus und die Lebensplanung der potenziellen Nachfolger genau im Blick zu haben. Eine interessante Variante, die nächste Generation ans Unternehmen heranzuführen, beobachte ich in den letzten Jahren: Die „Nachfolger im Wartestand“ gründen im thematischen Umfeld des Familienunternehmens mit Unterstützung der gegenwärtigen Führung Start-ups. Damit können sie sich schon mal als Entrepreneure beweisen. Und im Erfolgsfall kann das Start-up später ins Familienunternehmen eingegliedert werden.

Die Familienstrukturen in Deutschland haben sich in den letzten Jahrzehnten erkennbar geändert, die traditionellen Muster erodieren zum Teil. Sind „Familienunternehmen“ deshalb nicht eigentlich ein Auslaufmodell?

In Zahlen ist das nicht belegbar. Im Gegenteil: Deutschland ist nach wie vor das Land der Familienunternehmen. Etwa 90 Prozent aller Betriebe sind in Familienhand. Von VW, BMW, Lidl und Aldi bis hin zu mittelständischen Bauunternehmen, Bauernhöfen und kleinen Handwerksbetrieben. Dazu kommt: Die gegenwärtige Rückbesinnung auf Werte wie Beständigkeit, Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit ist dem Image von Familienunternehmen zuträglich. Ich sehe daher die Zukunft von Familienbetrieben absolut positiv.

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