Viel ist möglich, wenn man mit Motivation und Durchhaltevermögen an eine Sache herangeht. Unternehmerisch gedacht: Man kann in einem neuen Markt ein Unternehmen aufbauen. Oder ein bereits bestehendes übernehmen und voranbringen. Wie Nikolas Langes und Simon Hengst zum Beispiel. Die beiden lernen sich vor rund zehn Jahren über eine Organisation für Jungunternehmer kennen. Beide haben einen ähnlichen Background: Langes hat Finanzwesen und Wirtschaft in London und Rotterdam studiert und im Anschluss ein Start-up für Flugsuch-Algorithmen gegründet, das er an eine amerikanische Firma verkauft. Zwei Jahre bleibt er noch dort und begleitet die Eingliederung seiner Technologie in die Plattformen des Unternehmens.
Hengst wiederum hat Management in Manchester und Betriebswirtschaft in Wiesbaden studiert und sich auf Unternehmertum, Innovation und Wirtschaftspsychologie spezialisiert. Nach zwei Start-up-Gründungen und -Verkäufen liebäugelt er damit, ein Unternehmen zu kaufen. „Mich hat zu diesem Zeitpunkt das Thema Nachfolge fasziniert. Den Gedanken, etwas nicht von Grund auf neu zu gründen, fand ich charmant“, erzählt Langes. Die Freunde beschließen daher, das gemeinsam anzugehen. Ein Grundgedanke dabei: ihre Erfahrungen und ihr Know-how in eine erfolgreiche, mittelständische Firma einzubringen und diese zu digitalisieren.
Das Ziel war gesetzt, ein strukturierter Prozess sollte auf dem Weg dorthin helfen. Das Duo führte zum Beispiel etliche Experteninterviews mit Freunden, Bekannten und Spezialisten: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen extrem hilfsbereit sind, wenn man auf sie zugeht. Auch wenn man sie vorher gar nicht kannte. Aspekte wie Firmensuche, Finanzierung, Transaktionsstrukturierung, Post-Akquisition und weitere Punkte einer Unternehmensnachfolge konnten wir so besser verstehen lernen.“ Die erste Herausforderung für beide: eine passende Firma zu finden. Sie definieren vorab konkrete Suchkriterien. Beide wohnen noch in Berlin. Was den Firmenstandort anbelangt, sind sie aber offen. Sie kündigen ihre Jobs und reisen ein Jahr lang durch Deutschland: „Wir waren im tiefsten Niedersachsen, in Emsland, im Schwabenland – an den entlegensten Orten.“ 150 Firmen schauen sich Langes und Hengst an, 30 Inhaber lernen sie intensiver kennen: „Bei der Gremco GmbH in Augsburg hat die Chemie mit den Verkäufern sofort gestimmt. Das ist wesentlich in so einem Prozess.“
Schnell unterbreiten sie ein Angebot. Denn dabei zeigt sich, ob man wirklich eine gemeinsame Basis hat. „Es sind viele Trittbrettfahrer unterwegs, die eigentlich nur ihren Firmenwert testen wollen“, erklärt Langes. Für die rechtlichen Themen holen sich Langes und Hengst professionelle Unterstützung. Parallel dazu muss natürlich auch die Finanzierung geplant werden. Das Duo spricht mit seinen Hausbanken und wird so auch auf das Angebot der LfA-Tochter BayBG Bayerische Beteiligungsgesellschaft aufmerksam: „Es war noch mal eine intensive Aufgabe, alles sauber aufzubereiten, einen Businessplan zu schreiben und vorzustellen.” Die Präsentation überzeugt und die BayBG unterstützt den Firmenerwerb in Form einer stillen Beteiligung im sechsstelligen Bereich.
Knapp acht Monate dauert der Übernahmeprozess – vom ersten Kennenlernen bis zum Abschluss. „Eine Unternehmenstransaktion ist keine Immobilientransaktion. Es ist nicht so, dass man zum Notar geht, eine Schlüsselübergabe macht und fertig. Das ist ein hochkomplexer Prozess, denn man muss die Firma richtig kennenlernen”, fasst Langes zusammen.
Eine Bedingung der beiden war immer, dass die Firmeninhaber motiviert sind, die Nachfolger gut einzuarbeiten und ihnen die Branchengepflogenheiten beizubringen. Denn für Langes und Hengst war die Technik der Gremco GmbH ein komplett neues Feld. Aber ein spannendes, mit Potenzial für Wachstum. Das Unternehmen ist spezialisiert in Komponenten für Hightech-Verkabelungen und technische Schlauchlösungen. Für die Schrumpf-, Geflecht- und Isolierschläuche der Firma gibt es vielfältige Einsatzgebiete: Sie kommen in der Automobil-, Industrie- und Umwelttechnik genauso zum Einsatz wie in der Luftfahrt- und Medizintechnik. Praktisch überall, wo Kabel und Leitungen isoliert oder geschützt werden müssen – vor Abrieb, Flüssigkeiten oder anderen Gefahren. Die Produktionsstätten liegen in Europa, Asien, den USA und Mexiko. Am Firmensitz in Augsburg arbeiten 27 Mitarbeiter in der Buchhaltung, im Vertrieb, in der Qualitätssicherung, der Auftragsabwicklung und Produktion.
1990 wurde Gremco von Manuela Lach und Herbert Wagner gegründet und knapp 30 Jahre geführt. Da es keinen internen Nachfolger gibt, entscheiden sie sich 2019 zu verkaufen und sichern ihren Nachfolgern zu, sie bei der Übernahme beratend zu begleiten. Langes und Hengst durchlaufen alle Bereiche und packen buchstäblich mit an: Im Lager machen sie Pakete und Paletten versandbereit. Auch in der Finanzabteilung, in der Disposition, im Vertrieb und im Innendienst sind sie unterwegs. Jeder Vorgang in der Firma wird von ihnen dokumentiert. „Wir haben als erste Maßnahme ein Firmen-Wiki aufgesetzt, das gab es vorher nicht. Wir haben jeden einzelnen Prozess notiert, zusätzlich mussten wir noch die Aufgaben der Geschäftsführung lernen. Uns hat jeden Abend der Kopf geraucht.” Die neuen Geschäftsführer bringen viele Ideen ins Unternehmen und übertragen auch mehr Verantwortung an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Rückblickend sind die Bereiche, in denen beide Gründer vorher tätig waren, nicht vergleichbar mit ihrer Arbeit bei Gremco. „Wenn man ein Unternehmen neu aufbaut, ist man in einem sehr dynamischen Wachstumsumfeld. Alles ist extrem aufregend und energetisierend. In einem langjährigen Unternehmen bewegt man sich eher in einer saturierten Industrie. Alles ist ein bisschen langsamer, dafür aber auch beständiger.” Tatsächlich haben sich beide das Vorhaben einfacher vorgestellt. „Viele Internetunternehmer glauben, den Mittelstand, der teilweise noch mit Faxgeräten arbeitet, mal eben modernisieren zu können. Aber es ist eine ganz schöne Herausforderung, sich in eine fremde Industrie einzuarbeiten und hier zurechtzukommen. Trotzdem finde ich es von Vorteil, eine Nachfolgelösung anzustreben.“
Die Aufgaben haben sie mittlerweile aufgeteilt: Hengst ist hauptsächlich für die Vertriebsseite, für Marketing und Rechtliches verantwortlich, Langes hat die Finanzen, die Auftragsabwicklung, das Qualitätswesen und die Logistik im Blick. Aber die beiden sind keine „Stillstands-Unternehmer“. Sie möchten noch weitere Märkte erschließen. „Aktuell sind wir vorrangig in der Automobilindustrie vertreten, wir möchten aber auch wieder mehr in die Luftfahrt. Außerdem sind wir dabei, uns weitere Firmen anzuschauen und zu prüfen, ob nicht noch ein anderes Unternehmen gut zu uns passen würde.“ Auf ein Neues!