„Lisa, wie wäre es, wenn du meine Fahrschule übernimmst?” Mit dieser Frage leitete Reinhold Herz, Inhaber der Fahrschule Herz, die entscheidende Wende in der beruflichen Laufbahn von Lisa Hannemann ein. „Ich war von Anfang an Feuer und Flamme“, sagt Hannemann. Mehrere Jahre arbeitete sie damals schon als Bürokraft in der Fahrschule in Memmingen. Der Eigentümer wollte nach über 30 Jahren in Rente gehen und suchte eine geeignete Nachfolge. Das Angebot kam für die 32-Jährige gerade recht: „Ich habe mich gefragt, ob ich beruflich stehen bleiben möchte, wie ich mich weiterentwickle oder sogar etwas Eigenes mache.“
Bis die endgültige Entscheidung zur Übernahme aber tatsächlich fiel, dauerte es noch seine Zeit. Reinhold Herz fiel es zunächst schwer loszulassen. Als er krankheitsbedingt kurze Zeit ausfiel, übernahm Hannemann immer mehr Aufgaben und bewies ihr Können. Am 1. April 2022 schließlich wurde ihr die Fahrschule auch notariell überschrieben. Seitdem ist sie außer für das Tagesgeschäft, die Personalangelegenheiten und Co. auch für den Unternehmenserfolg verantwortlich.
Reinhold Herz schaut gelegentlich vorbei, hält sich aber aus dem Geschäftlichen komplett heraus. „Wir sind privat im Austausch. Ab und an trinken wir abends ein Glas Wein und sprechen darüber, was gerade ansteht. Bei wichtigen Entscheidungen kann ich mir bei ihm nach wie vor Rat holen“, sagt Hannemann. Diese Unterstützung weiß sie zu schätzen, denn innerhalb des Fahrschul-Kosmos ist ihre Situation einzigartig: Anders als ihr Vorgänger und die meisten anderen im Betrieb ist Hannemann selbst keine Fahrlehrerin.
Natürlich kamen im Zuge der Unternehmensnachfolge auch einige Herausforderungen auf sie zu. Mit Anfang 30 war sie die jüngste Angestellte in der Firma. Aus dieser Position heraus in die Rolle der Vorgesetzten zu wechseln, hatte seine Tücken. „Es hat ein bisschen gebraucht, bis alle akzeptiert haben, dass ich die Chefin bin und nicht mehr Herr Herz. Aber ich habe die Führungsaufgabe echt straight durchgezogen. Und jetzt funktioniert es sehr gut. Wir sind ein cooles Team“, sagt sie. Auch in finanzieller Hinsicht kamen ihr Zweifel. Zwar war die Corona-Pandemie während der Übernahme weitgehend überstanden, doch mit den Folgen hatte sie noch länger zu kämpfen. Hannemann ließ sich davon nicht entmutigen: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, dachte ich mir damals.“ Es entspricht ihrem Naturell, den Blick stets optimistisch nach vorn zu richten. Sogar ihr ehemaliger Chef gesteht, dass er sie für diese Gelassenheit bewundert. „Ja mei, ich versuche, das Beste aus jeder Situation zu machen, und schaue, was passiert“, sagt Hannemann.
Finanzielle Unterstützung erhielt sie in Form eines Startkredits von der LfA. Zum einen hat sie von diesem Geld die Firma übernommen, zum anderen die Fahrschul-Räumlichkeiten umgebaut: „Viel moderner, viel offener. Mehr auf die junge Zielgruppe der Schüler ausgerichtet.“ Die zeitgemäße Ausrichtung der Fahrschule ist der gebürtigen Memmingerin wichtig. Nicht ohne Grund wird sie auf der Firmenwebsite als Digitalisierungs-Spezialistin aufgeführt. „Schon seit längerer Zeit läuft bei uns alles papierlos. Alle Dokumente liegen bei uns in einer Cloud. So muss ich nicht immer vor Ort sein, sondern kann auch aus dem Homeoffice arbeiten“, erklärt Lisa Hannemann. Auch einen Instagram-Kanal hat sie für die Fahrschule eingerichtet. Hier finden sich Wissenswertes rund um die Fahrschule, Veranstaltungen und sonstige News. Auf die Werbung nach außen legt die junge Inhaberin Wert, sie möchte aus der Masse an Fahrschulen positiv hervorstechen.
Ihr Einsatz trägt Früchte: Die Fahrschule Herz ist sehr gut ausgelastet und auf Personalsuche. Doch der Fachkräftemangel geht auch an ihr nicht spurlos vorüber. Die Ausbildung von Quereinsteigern erfolgt extern und ist sehr zeit- und kostenintensiv – weshalb sich laut Hannemann wenige für diesen Beruf entscheiden. „Trotzdem bin ich optimistisch. Es geht immer irgendwann die Tür auf und jemand sagt: ‚Huhu.‘“
In den vergangenen anderthalb Jahren hat sich nicht nur viel in der Fahrschule Herz getan, sondern auch bei Hannemann selbst. Sie sei reifer geworden, stehe fester im Leben – das bestätigen auch viele Menschen aus ihrem Umfeld. Besonders ihre zwölfjährige Tochter ist stolz auf ihre Mama. „Einen eigenen Laden zu haben, den man selbst gestaltet und weiterentwickelt hat, ist einfach cool“, so Hannemann. Am Ende ihrer beruflichen Pläne ist Hannemann noch lange nicht und sie schließt nicht aus, die Fahrschule in Zukunft noch zu vergrößern. Ex-Inhaber Herz hat mit seiner Nachfolgekandidatin direkt ins Schwarze getroffen. Obwohl ihm eine Sache an ihr nicht gefällt: ihr Fahrstil.