Wie schätzen Sie die Zukunftschancen von Handwerksberufen ein?
Es gibt für mich kein Handwerk, das nicht gute Zukunftschancen und großes Potenzial hat. Zum Beispiel werden im Lebensmittelhandwerk händeringend Auszubildende gesucht, derzeit müssen sogar Bäckereifilialen stundenweise schließen, weil ihnen das Personal für den Verkauf fehlt. Es gibt hervorragende Aussichten im Bereich der Feinmechanik und im Metallbau. Kein Satellit fliegt beispielsweise ohne handwerkliche Leistung. Mit der steigenden Lebenserwartung der Menschen in Deutschland erwächst zum Beispiel auch bei Augenoptikern, Hörgeräteakustikern und Orthopädietechnik-Mechanikern erhebliches Potenzial.
Die vorherrschenden Themen, insbesondere für junge Menschen, sind Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Passt diese Zielsetzung mit Handwerksberufen zusammen?
Absolut. Junge Leute, die etwas mit den Händen umsetzen möchten und dabei Wert auf Nachhaltigkeit legen, zieht es zunehmend ins Schreiner- und Zimmererhandwerk. Aber auch Solaranlagen oder energieeffiziente Heizungssysteme wie Luftwärmepumpen könnten ohne das Elektro- und SHK-Handwerk nicht realisiert werden. Handwerkerinnen und Handwerker arbeiten also jeden Tag ganz praktisch daran, dass unser Leben klimafreundlicher und nachhaltiger wird.
Gibt es in Bayern ausreichend Nachwuchs im Handwerk?
Der Handwerksanteil am Wirtschaftsaufkommen in Bayern ist, verglichen mit anderen Bundesländern, höher. Er liegt derzeit bei gut zehn Prozent. Dementsprechend hoch ist der Bedarf an Auszubildenden. Dieser kann auch in Bayern derzeit nicht gedeckt werden. Die Handwerksorganisation macht daher ganz gezielt Werbung für das Handwerk. Es muss sich in der Gesellschaft und insbesondere bei Eltern wieder die Erkenntnis durchsetzen, dass ein Lehrberuf genauso zu einem erfüllten Leben führen kann wie der akademische Weg. Die Aufstiegschancen sind exzellent. Handwerkerinnen und Handwerkern stehen alle Wege offen – auch für höhere Ämter in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.
Ist die Nachfolge für die Handwerksbetriebe in Bayern aus Ihrer Sicht gesichert?
Der Durchschnitt der Betriebsinhaberinnen und Betriebsinhaber liegt heute bei 55 Jahren, ein Viertel davon ist sogar über 60 Jahre alt. In den kommenden Jahren steht deshalb bei über 20.000 Betrieben in Bayern eine Übergabe bevor. Wenn man weiß, dass es mehrere Jahre braucht, um einen Nachfolger zu finden und einzuarbeiten, dann weiß man auch: Da muss bald was passieren! Etwa 40 Prozent der Handwerksbetriebe werden innerhalb der Familie übergeben. Doch das ist nicht in Stein gemeißelt. Wir haben eine Untersuchung vom Ludwig-Fröhler-Institut erstellen lassen. Von den rund 1.340 Befragten wollen 400 sich selbstständig machen, 200 planen das eventuell in den nächsten Jahren. Der Rest möchte in Anstellung arbeiten. Der Hauptgrund dafür ist, dass immer mehr Jungmeisterinnen und -meister von den bürokratischen Aufgaben abgeschreckt werden.
Über die ausufernde Bürokratie klagen generell viele Handwerksbetriebe.
Ja, die Bürokratie ist ein Riesenthema. Nehmen Sie zum Beispiel Metzger, die haben große Aggregate für die Kühlräume. Die Temperatur wird längst digital kontrolliert und dokumentiert. Trotzdem muss ein Mitarbeiter die noch regelmäßig kontrollieren und das Ergebnis händisch in eine Liste eintragen. Das ist ein Zeitaufwand, der Kosten verursacht und keinen Sinn macht. Und das nur, weil der Staat das digitale Protokoll nicht akzeptiert. Genauso ist es im Bauhauptgewerbe. Man ist dazu verpflichtet, bei Verkehrsabsperrungen täglich die planlich festgelegten Absperreinrichtungen zu kontrollieren. Früher hat man das wöchentlich kontrolliert, das sind also immense Zusatzkosten. Kurz gesagt: Die Bürokratie verhindert in Deutschland Betriebsübernahmen und Betriebsgründungen.
Immer mehr der Auszubildenden im Handwerk haben die Hochschulreife. Worin sehen Sie die Gründe dafür?
Von den neuen Auszubildenden haben mittlerweile über zehn Prozent eines Jahrgangs die Hochschulreife. Etwa 36 Prozent haben Realschulabschluss, 45 Prozent kommen aus der Mittelschule. Der Rest hat keinen Abschluss. Meiner Meinung nach zeigt die hohe Quote an Abiturienten, wie attraktiv das Handwerk für viele junge Menschen ist. Und das völlig zu Recht. Denn es ist wirklich für jeden von Vorteil, eine duale Ausbildung zu machen, weil er nach spätestens drei Jahren einen Berufsabschluss hat, in dem er immer tätig werden kann. Mir bestätigen Hochschulprofessoren, dass Studentinnen und Studenten mit einer praktischen Ausbildung ihr Studium viel strukturierter absolvieren und auch entsprechende soziale Kompetenzen erworben haben. Dazu gehen sie mit anderen Menschen, insbesondere aus dem Handwerk, respektvoller um.
Hat es nach Ihrer Einschätzung das Handwerk in Bayern im Vergleich mit den Nachbarländern schwerer?
Es wird über einen Industriestrompreis diskutiert, aber nur für die energieintensive Industrie wie die chemische, die Stahlindustrie und dergleichen. Doch wir haben im Handwerk genauso energieintensive Betriebe, die in Konkurrenz zu Industrieunternehmen und Betrieben aus dem Ausland stehen. Nehmen Sie zum Beispiel Wäschereibetriebe, die viel Energie benötigen. Wenn ein solcher Betrieb im grenznahen Bereich mit einem tschechischen konkurrieren muss, dessen Energiekosten viel geringer sind, dann verliert im Endeffekt oftmals der bayerische Betrieb. Hier ist die Politik in der Verantwortung. Wir brauchen dringend Versorgungssicherheit durch ein breites Stromangebot und wettbewerbsfähige Preise. Um das zu erreichen, müssen alle Möglichkeiten zur Stromgewinnung technologieoffen und ideologiefrei genutzt werden.
Die Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, jährlich 400.000 neue Wohneinheiten zu bauen, davon 100.000 im günstigen Preissegment. Ist dieses Vorhaben zu verwirklichen?
Grundsätzlich ist die Bauwirtschaft durchaus in der Lage, diese Zahl an Wohneinheiten in allen Segmenten zu bauen. Dafür müssen aber die Rahmenbedingungen deutlich verbessert werden. Wir können froh sein, wenn dieses Jahr in Deutschland 230.000 Wohnungen fertiggestellt werden, weil die Förderungen auf ein Zehntel zurückgefahren wurden. Auch steuerliche Anreize wurden so weit runtergefahren, dass einige Großunternehmen im Immobiliensektor komplett aus dem Neubau ausgestiegen sind. Das Gleiche passiert bis hinunter zu soliden Mittelständlern, die viele Jahre erfolgreich Objekte entwickelt und vorfinanziert haben. Mich erreicht von vielen die Rückmeldung, dass sie im Moment keine Projekte mehr angehen können. Hier muss die Politik unterstützend eingreifen, damit der Wohnungsbau wieder anläuft.
Wie sind Ihre Prognosen für diese Branche, die ein Grundpfeiler des Handwerks in Deutschland ist?
Selbst wenn es endlich die überfälligen Reaktionen auf die dramatische Lage geben sollte, dauert es drei bis sechs Monate, bis die Folgen im Bauhandwerk ankommen. In dieser Zeit werden wir auch in Bayern einige Betriebe verlieren. Wir hatten in der Zeit von 1998 bis 2008 schon einmal eine starke Rezession im Bauhauptgewerbe. In diesem Zeitraum sank die Zahl der Beschäftigten von 1,4 Millionen auf 720.000. Aber der Einbruch im Moment ist noch viel extremer als damals. Das macht mir große Sorgen.
Befürchten Sie in der nächsten Zeit im bayerischen Handwerk vermehrt Insolvenzen?
In Deutschland lag der Anstieg der Insolvenzen im ersten Halbjahr 2023 bei über 16 Prozent. Einen vergleichbar hohen Wert gab es zum letzten Mal 2002. Bayern zeigt sich im Moment noch relativ robust. Und die Insolvenzen betreffen, mit Ausnahme des Bauhandwerks, nicht so sehr unseren Wirtschaftsbereich, sondern eher den Einzelhandel und den Dienstleistungsbereich. Ein Signal, dass sich die Stimmung weiter eintrübt, ist der Anstieg bei den Anträgen auf Kurzarbeit, die aber von den Arbeitsagenturen nicht genehmigt werden.
Welche Konsequenzen hat das umweltpolitische Zurückdrängen von Dieselfahrzeugen, die in der Fahrzeugflotte des Handwerks überproportional präsent sind?
Im Moment gibt es zum Glück noch Ausnahmegenehmigungen für Handwerkerinnen und Handwerker, die sie beispielsweise in München vor Fahrverboten schützen. Ein Dieselmotor hat, wenn er mit AdBlue gefahren wird, nahezu keinen Ausstoß an Stickoxiden. Der Feinstaub beim Reifen- und Bremsenabrieb entspricht dem eines Elektroautos. Und der Diesel hat einen geringeren CO2 - Ausstoß als ein Benziner. Im gewerblichen Bereich, etwa in der Logistik, wird vorgeschrieben, dass 50 Prozent der neuen Lkw bis 2030 elektrisch betrieben werden müssen. Nur ist das Netz mit Schnellladestationen dafür in nächster Zeit nicht verfügbar.
Wie sind, auf den Punkt gebracht, die Aussichten für das bayerische Handwerk?
Das Handwerk hat letztlich alle Krisen überstanden und wird dies auch weiterhin tun. Deshalb bin ich für die Zukunft unserer Gewerke optimistisch.