Professor Thomas Hamacher
Schwerpunkt-Thema

„Das Bild Bayerns wird sich verändern“

An der Technischen Universität München forscht Professor Thomas Hamacher an der Energieversorgung der nahen Zukunft. Wie die aussieht? Das wollten wir von ihm wissen
Interview: Martin Fraas

Lassen Sie uns zuerst einen Blick auf die Gegenwart und die Gaskrise werfen. Insbesondere energieintensive Betriebe in Bayern können kurzfristig nicht auf Gas als Energieträger verzichten. Was raten Sie diesen Unternehmen?

Um zu sichern, dass sie auch im Winter noch genug Gas bekommen, müssen die Gesellschaft und die Industrie dafür sorgen, dass so viel Gas wie möglich gespart wird. Wir hören beispielsweise von Unternehmen, dass sie, wo es möglich ist, wieder mit Öl heizen. Wo Gas durch Strom zu ersetzen ist, tun sie das ebenfalls. Da ist bereits einiges in Bewegung.

Sie fordern auch von der Gesellschaft, Energie einzusparen. Wie genau kann das gelingen?

Da wäre ein deutlich hörbarer Appell der Politik an alle Bürger sehr viel wert. Denn wenn Leute sagen „Die Energiekrise wird nicht unter der Dusche entschieden“, dann mag das populär klingen, aber sie gucken nicht auf die Zahlen. Denn die sprechen eine andere und eindeutige Sprache. In deutschen Haushalten werden jedes Jahr etwa 100 Terawattstunden für Warmwasser verbraucht. Davon werden 50 Prozent durch Gas erzeugt. Nehmen wir an, wir würden davon die Hälfte einsparen, was für die meisten Menschen problemlos möglich wäre. Damit würden wir mehr als 25 Terawattstunden beim Gas einsparen. Zum Vergleich: Das Kernkraftwerk Isar 2, das in Bayern als letztes noch am Netz ist, erzeugt im Jahr etwa 11 Terawattstunden Strom. Aber auch unabhängig von der aktuellen Energiekrise wird die Einsparung von Energie ein zentrales Thema bleiben. Genauso wie der Umstieg in allen Bereichen auf Strom.

Unabhängig von der aktuellen Energiekrise wird die Einsparung von Energie ein zentrales Thema bleiben

Ist Bayern denn für diesen erheblichen Mehrbedarf an Strom gerüstet?

Ganz ehrlich: nein! Wenn wir rechtzeitig Trassen gebaut hätten und die fertig wären, wenn wir dazu die Windkraft deutlich mehr ausgebaut hätten, dann wäre natürlich auch mehr Strom da. Nun gut, wir können die Kernkraftwerke noch im Winter dieses Jahres laufen lassen. Oder sogar darüber hinaus. Ich kann die damit verbundenen Probleme allerdings im Detail zu wenig abschätzen, um eine saubere Aussage dazu treffen zu können. Aber rein von der Stromseite her wäre es wünschenswert, wenn wir diese Energie noch zur Verfügung hätten. Denn mit unserem Verzicht auf die Kernkraft stehen wir Deutschen fast allein. England und Frankreich machen weiter, die USA ebenso. Und selbst Japan fängt an, die Anlagen wieder hochzufahren. In China und Indien soll sogar eine Vielzahl von neuen Reaktoren gebaut werden.

War der kurzfristige Atomausstieg Ihrer Einschätzung nach richtig?

Es ist erst mal so, wie es ist. Man kann Kämpfe führen. Aber es lohnt sich nicht, gesellschaftlich und politisch jeden Kampf zu führen. Die Kernenergie wird nun eben an anderen Orten der Welt weiterentwickelt. Es gibt ja nicht nur die klassische Kernkraft, sondern auch neue Technologien wie beispielsweise die Fusion. Ob eine davon das Potenzial hat, dass man auch in Deutschland irgendwann wieder darüber nachdenkt, damit zu arbeiten, wird sich zeigen. Das Grundproblem bei der Kernkraft war: Der erste Entwicklungsschub wurde viel zu schnell durchgeführt, weil man diese Technologie unbedingt haben wollte. Aber wir wissen, dass alle Technologien in einem Lernprozess vorangetrieben werden müssen. Dieser Prozess war für Kernkraft viel zu schnell, mal sehen, ob dies ein zweiter Anlauf besser macht.

Sie sprachen die Windkraft an. Die Akzeptanz für Windräder ist in Bayern in der Bevölkerung nicht uneingeschränkt vorhanden, um es verhalten zu formulieren.

Windkraft trifft an vielen Orten auf Widerstand. Und sicher müssen wir dies immer auch ernst nehmen. Trotzdem müssen dann Alternativen angeboten werden. Wer keine Windturbinen in Bayern möchte, muss zumindest Stromtrassen bauen. Es gibt aber derzeit keine Bewegung, die sich für diese dann notwendigen Leitungen einsetzt. Und keinen Spitzenpolitiker, der in die von den Trassen betroffenen Regionen reisen und Werbung dafür machen würde. Wir müssen als Gesellschaft jedoch eine Entscheidung treffen. Wollen wir wirklich einen überwiegenden Teil der Energie in unserem Land erzeugen? Wenn ja, dann müssen wir sehr viele Erzeugungsanlagen hier bauen und auch eine entsprechende Infrastruktur wie Stromleitungen. Diese Anlagen werden überall sichtbar sein! Ja, sie werden auch das Bild Bayerns verändern. Die zwei Prozent der Gesamtfläche Deutschlands für Windkraft, die die Bundesregierung genannt hat, sind keine Kleinigkeit. Im Vergleich dazu liegen die gesamten bebauten Flächen bei etwa acht Prozent der Gesamtfläche.

Wir müssen als Gesellschaft eine Entscheidung treffen. Wollen wir wirklich einen überwiegenden Teil der Energie in unserem Land erzeugen?

Für eine Windkraftanlage eines derzeitigen Typs muss ein Fundament aus circa 1400 Kubikmetern Stahlbeton ins Erdreich gegossen werden. Wird das Problem der Bodenversiegelung dadurch verstärkt?

Bodenversiegelung ist vielmehr ein grundsätzliches Problem unserer Siedlungsstruktur. In Europa und Nordamerika ist das frei stehende Einfamilienhaus das Ideal. Das kann schnell zu großen Siedlungsflächen und Versiegelung führen. Aber wir haben eine Alternative: Ich wohne in Garching in einem achtstöckigen Haus mit 50 Wohnungen. Diese Bauform ist sehr effizient, auch aus dem energetischen Blickwinkel, und hat ein großes Zukunftspotenzial. Wir könnten künftig auch in Deutschland viel mehr Hochhäuser bauen und dadurch Einfamilienhäuser ersetzen. So weit sind wir aber als Gesellschaft noch nicht.

Wäre der verstärkte Einsatz von Wasserstoff als Energieträger eine Alternative, um eine signifikante Umgestaltung des Landschaftsbilds in Bayern überflüssig zu machen?

Wir haben in Deutschland das Talent, Lösungen gegeneinander auszuspielen. Natürlich brauchen wir auch Wasserstoff. Nur müssen wir klarstellen: Woher kommt dieser Wasserstoff? Zu welchem Preis wird er geliefert? Mit welchen Technologien wird er zu uns gebracht? Schiffe, die flüssigen Wasserstoff über 5.000 Kilometer und mehr transportieren können, gibt es noch nicht. Man weiß, wie man sie konstruieren müsste, aber sie sind noch nicht gebaut bzw. nur in ersten Prototypen. Und dies ist nur ein Problem unter vielen. Ja, wir benötigen Wasserstoff und synthetische Treibstoffe für viele Anwendungen. Sie sind eine wichtige Ergänzung, aber kein Ersatz für die elektrische Energieversorgung, die die zentralen Aufgaben erfüllen muss.

Professor Thomas Hamacher im Gespräch

Mann der klaren Worte: Professor Thomas Hamacher versteht es, wissenschaftliche Erkenntnisse gut verständlich zu erklären

Gibt es vielleicht eine völlig neue Art der Energiegewinnung, die Forscher im Schrank haben?

Nein, wir haben im Physikunterricht in der Schule ja gelernt: Es gibt vier Kräfte. Gravitation, elektromagnetische Kraft, dazu die schwache und die starke Kernkraft. Das ist es. Und mit allen vier Kräften arbeiten wir bereits. Wir können nichts Neues aus dem Hut zaubern.

Sie arbeiten und forschen derzeit in Ihrem Labor „COSES“ an sogenannten Microgrids. Was hat man sich darunter vorzustellen?

In der Vergangenheit gab es ein paar große Kraftwerke, von denen aus wurde der Strom verteilt und die Stabilität des Systems gewährleistet. Wir haben in Zukunft aber Millionen von Photovoltaikanlagen und Windturbinen. Dazu kommen ganz viele aktive Verbraucher, die sich mal an- und dann wieder abschalten. Deshalb müssen wir eine Neuorganisation des Systems finden, bei der viel mehr Management- und Regelaufgaben auf einer niedrigeren Ebene erfüllt werden. Stichwort: modularisieren. Wir können große Probleme immer nur dadurch lösen, dass wir sie in kleinere Probleme zerhacken. Und so müssen wir auch das Stromnetz in kleine Strukturen aufteilen, die wir dann im Griff haben. Eine dieser neuen Strukturen ist das Microgrid, eine überschaubare und abgeschlossene Organisationseinheit, bestehend zum Beispiel aus etwa 100 Einfamilienhäusern. All die Microgrids in Deutschland werden künftig auch interagieren.

Was sind die größten Herausforderungen für die zukünftige Energieversorgung Bayerns?

Bayern hat nach dem Zweiten Weltkrieg eine wirklich konsistente Energiepolitik gemacht. Das war sicherlich die Grundlage des bayerischen Wirtschaftserfolgs. Eine solche strategische und weitsichtige Energiepolitik brauchen wir dringend wieder. Da wäre die Politik gefordert, auch mal an mutigen Visionen zu arbeiten, die natürlich von den Bürgern getragen werden müssen.

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