Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Inhaberin des Lehrstuhls für Entrepreneurial Finance an der TU München
Schwerpunkt-Thema

Die hiesige Risikokapitalszene wächst

Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Inhaberin des Lehrstuhls für Entrepreneurial Finance an der TU München, im Interview über Wachstumsfinanzierung, die Rolle des Staats und Kapitalbeteiligungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
Interview: Martin Fraas

Nach einer viel beachteten Studie, an der Sie maßgeblich mitgewirkt haben, ist der Mangel an adäquater Wachstumsfinanzierung eine zentrale Schwäche des deutschen Innovationssystems. Welche Impulse sind nötig?

In dieser Studie von KfW, Deutscher Börse und acatech (Deutsche Akademie für Technikwissenschaften) wurden mehrere wesentliche Handlungsoptionen aufgezeigt. An erster Stelle ist es nötig, mehr inländisches Kapital für die Wachstumsfinanzierung zu mobilisieren. Es ist mehr Kapital von Kapitalsammelstellen, Stiftungen, Family Offices und High-net-worth Business Angels zu gewinnen. Staatliche Angebote können hier als bedeutender Hebel dienen. Daher enthielt die Studie auch die Aufforderung, diese auszuweiten und effektiver zu machen. Erfreulicherweise hat sich seit Erscheinen der Studie vor zwei Jahren gerade hier einiges getan.

Die Wagniskapitalinvestitionen, insbesondere in technologiegetriebenen Unternehmen, sind in Asien und in den USA um bis zu 300 Prozent höher als in Europa. Und in der so entscheidenden Late-Stage-Finanzierung liegt in Deutschland das bereitgestellte Volumen um 80 Prozent niedriger als in den USA. Worin sehen Sie die Gründe dafür?

Es gibt zahlreiche Faktoren, die dazu führen, dass wir so viel weniger inländisches Wagniskapital haben. Dies muss man auch vor dem Hintergrund der Tatsache sehen, dass hier weniger in den Kapitalmarkt investiert wird als in anderen Ländern. Der hohe Anteil ausländischer Investoren an den großen börsennotierten Unternehmen ist eine Folge davon. Zudem sind unsere Rahmenbedingungen anders. So haben wir keine Pensionsfonds wie in den USA und es gibt auch keine großen Universitätsstiftungen, die in diesem Bereich investieren. Damit können sich auch die deutschen privaten Venture-Capital-Gesellschaften nur langsamer entwickeln und wachsen. Um in die spätere Phase eines Unternehmens zu investieren, sind größere Summen notwendig. Dies verlangt auch, dass die investierenden Fonds größere Volumina haben. Mittlerweile gibt es allerdings einige hiesige Fonds mit der nötigen Größe für solche Late-Stage-Finanzierungen. Es ist zu hoffen, dass sich diese Entwicklung weiter fortsetzt.

Technologische Innovationen und jene im finanziellen Bereich sollten sich gegenseitig verstärken können

Gibt es für deutsche Wachstumsunternehmen – über die etablierten Wagniskapitalmodelle hinaus – auch alternative und innovative Modelle der Außenfinanzierung?

Hier sprechen Sie eine andere Handlungsoption an, dieses Angebot würde das deutsche Innovationssystem stützen. In jüngerer Vergangenheit ist das Angebot an hybridem Kapital, dem Venture Debt, wie es im Ausland schon länger angeboten wird, gestiegen. Wir sind nicht mehr nur auf klassische Eigenkapitalfinanzierungen ausgerichtet. Hinzu kommen neue Modelle wie das Equipment-as-a-Service-Modell. Möglich ist beispielsweise ein Kredit, bei dem sich die Tilgungshöhe aus der tatsächlichen Auslastung der finanzierten Maschine errechnet. Solche Konstellationen werden im Bereich des Internet of Things in Zukunft sicher häufiger zu sehen sein. Diese Konstellation zeigt auf, wie wichtig es ist, dass die technologischen Innovationen und jene im finanziellen Bereich Hand in Hand gehen und sich sogar gegenseitig verstärken können.

Wird Ihrer Einschätzung nach am Standort Deutschland das Potenzial der Zusammenarbeit von jungen Wachstumsunternehmen mit etablierten Unternehmen sowie wissenschaftlichen Einrichtungen voll ausgeschöpft?

An einigen Orten und in manchen Netzwerken gelingt es immer besser, die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit Hochschulen und etablierten Unternehmern zu realisieren. Dies gilt insbesondere für München. Die Modelle, die sich als erfolgreich erweisen, sollte man daher auch breiter aufgreifen und nutzen. Aber wir haben noch ein erhebliches Potenzial an beiden Schnittstellen. Im Bereich der Universitäten geht es darum, dass wir noch mehr Ausgründungen sehen – vor allem im forschungsintensiven Bereich, dem Deep Tech. Und an der Schnittstelle zu Unternehmen geht es um die Möglichkeiten der Digitalisierung bestehender Unternehmen, aber auch um den Aufbau völlig neuer Geschäftsmodelle. Aufgrund der starken Stellung der deutschen Industrie bestehen gerade hier, im B2B-Bereich, besondere Chancen. Das Potenzial ist riesig und nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft.

Die Start-up- und Scale-up-Gründerszene in Deutschland könnte im nächsten Jahrzehnt massiv zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beitragen. Welche Impulse müssten dafür erfolgen?

Eine kürzlich vorgestellte Studie vom Bundesverband Deutsche Startups, von Deutscher Börse, Internet Economy Foundation und Roland Berger nimmt sich genau dieser Frage an. Sie hält fest: Würden wir bis 2030 den gleichen Anteil von Beschäftigten in Start- und Scale-ups erreichen wie in den USA, wären hiernach 3,7 Millionen Menschen in Deutschland direkt auf diese Weise beschäftigt. Damit dies Realität wird, müssen sich die Rahmenbedingungen für Gründer verbessern. So sollten Talente bei der Gründung gefördert werden, Kapital hinreichend verfügbar sein und die Wettbewerbsbedingungen stimmen. Aber auch die Investorenseite ist wichtig: Wenn der Exit besser gelingt, das heißt der erfolgreiche Verkauf oder Börsengang, dann kommt durch die Wiederanlage des mittlerweile angewachsenen Kapitals eine positive Spirale in Gang.

Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Inhaberin des Lehrstuhls für Entrepreneurial Finance an der TU München

Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner

Inhaberin des Lehrstuhls für Entrepreneurial Finance an der TU München

Die Politik hat eine große Bedeutung, wenn es um die finanziellen Rahmenbedingungen für junge Wachstumsunternehmen geht

Sehen Sie auch die Politik in der Pflicht, um zum Beispiel durch Bereitstellung von mehr staatlichem Kapital die Rahmenbedingungen für junge Wachstumsunternehmen zu optimieren?

Ja, die Politik hat eine große Bedeutung, wenn es um die finanziellen Rahmenbedingungen für junge Wachstumsunternehmen geht. Beispielsweise helfen die Angebote der LfA zur Stärkung der Kapitalbasis bayerischer Gründer und Unternehmer, die sie zum Teil zusammen mit dem Europäischen Investitionsfonds und der Europäischen Investitionsbank aufgelegt hat, dass die hiesige Risikokapitalszene wächst und mehr Venture-Capital in Bayern zur Verfügung steht. Der Einfluss der Politik auf die Rahmenbedingungen beschränkt sich jedoch nicht aufs Finanzielle. Auch mit der Art der regulativen Rahmenbedingungen, die sie setzt, hat sie wesentlichen Einfluss. Dabei können manche rechtlich getriebenen Herausforderungen nicht durch eine höhere Finanzierung kompensiert werden. Dies gilt allgemein, aber natürlich besonders auch im Deep-Tech-Bereich. Zu guter Letzt ist der Staat ein bedeutender Kunde und die Ausgestaltung seiner Beschaffungspolitik ein wesentlicher Faktor für den Erfolg junger Unternehmen und sogar junger Branchen. Der Staat sollte daher die verschiedenen Einflüsse, die er hat, in einem ganzheitlichen Bild sehen und auch aufeinander abstimmen. Dies gilt aufgrund der volkswirtschaftlichen Bedeutung von Start-ups und Wachstumsunternehmen, aber auch der geopolitisch wichtigen Innovationen, die in diesem Bereich entstehen.

Sehen Sie die Kapitalbeteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als ein wichtiges Tool, um Talente aus dem In- und Ausland zu gewinnen?

Grundsätzlich sind gute und motivierte Mitarbeiter entscheidend für den Erfolg jedes Unternehmens. Junge Unternehmen können aufgrund ihrer finanziellen Situation in der Regel nur zurückhaltend Gehälter zahlen. Die Mitarbeiterbeteiligung ist hier ein wesentliches und auch richtiges Instrument, um Mitarbeiter zu motivieren und finanziell zu incentivieren. Schon aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Rahmenbedingungen hierfür in Deutschland angemessen sind. Derzeit ist dies noch nicht der Fall. Dies ist umso problematischer, als es heute einen internationalen Wettbewerb um gute Mitarbeiter gibt. Die Ausgestaltung der Mitarbeiterbeteiligung ist ein Standortfaktor. Schließlich darf man nicht vergessen, dass die hier erzielten Erlöse zu einem hohen Teil, laut einer jüngsten Studie zu über einem Drittel, wieder ins Ökosystem zurückfließen, indem sie zur Gründung neuer Unternehmen oder Beteiligung genutzt werden. Sie bringen auf diese Weise Schub in die positive Spirale eines sich entwickelnden Gründerökosystems. Es ist daher zu hoffen, dass dieses Thema in der kommenden Legislaturperiode noch einmal aufgenommen wird.

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