Auf der Holzbank vor dem verfallenen Bauernhaus saßen sie, der Opern-Bariton Thomas Bauer und sein Architekt Peter Haimerl. Es war im Frühjahr 2012 und die beiden überlegten, was denn nun zu tun sei. Bauer hatte das Waldlerhaus aus dem 16. Jahrhundert im zunehmend trostlosen Ortskern von Blaibach kurz vorher gekauft und wollte es mit Haimerl umbauen. Unbedingt mit ihm, mit keinem anderen. Weil er mit seiner schlichten Kubentechnik alte und baufällige Gebäude zu neuem Leben erweckt – ohne sie „totzusanieren“. Eigentlich ging es ja nur um eine Bleibe für das von Bauer in Blaibach initiierte Festival „Kulturwald“. Doch dann sprachen sie irgendwie auch über Elektromobilität, Musik und darüber, dass Blaibach voller Vergangenheit, aber ohne Zukunft zu sein scheint. In einem Ortszentrum, mit dem die Bäckerei und andere Läden abgeschlossen hatten. Selbst das Freibad lag aus Geldmangel auf dem Trockenen.
Vor 15 Jahren gab es hier noch 84.000 Übernachtungen jährlich und mehrere Wirtshäuser, dann zogen die Menschen weg. „Ruinenfeld“ nannte Haimerl, was er sah. In der Frühlingssonne des Bayerischen Waldes entstand plötzlich die Idee, ein Konzerthaus für Bauers Klassikfestival zu bauen. Mit der 2.000-Einwohner-Gemeinde als Bauherrin. Nicht irgendeins, sondern eines, das „wie ein Meteorit ins Dorf fällt und allen zuruft: Hier ist die Avantgarde. Ein Ausrufezeichen, eines mit Signalwirkung.“ So jedenfalls resümiert es Bauer. Zugegeben, die Begeisterung der Bewohner Blaibachs hielt sich zunächst in Grenzen, aber Bauer und Haimerl waren begeisterungsfähig genug. Der Architekt, gebürtig aus Eben bei Viechtach, entwarf Mutiges: außen ein in den Boden gekippter Block aus Granit und innen ein Konzertsaal mit Drahtstühlen für 200 Personen, zwischen äußerst raffiniert angeordneten Wänden aus Sichtbeton – der Akustik wegen.
Bauer, er stammt aus dem nahen Metten, war von Anfang an sicher: Das wird was. Drei Millionen Euro sollte der visionäre wie elegante Bau kosten und die beiden überzeugten nicht nur diverse private Sponsoren, sondern auch Städtebauförderer. Dann ging alles ganz schnell: Bereits 2014 wurde das Konzerthaus eröffnet und seitdem sind die jährlich bis zu 70 Konzerte zu 99 Prozent ausgebucht. Gefördert werden die begehrten Veranstaltungen auch von der LfA.
In den totgeglaubten Ort reisen nun wieder bis zu 30.000 Besucher pro Jahr. Eine „Enoteca“ hat eröffnet und der traditionsreiche Schlossgasthof Rösch investierte viel Geld in einen viel gelobten und 850 Quadratmeter großen Wellness-Bereich. „Das Wunder von Blaibach“, titeln Zeitungen wie „Die Welt“. Kein Wunder, bei all den Zahlen und all den gewonnenen Architekturpreisen. Im Mai erscheint im renommierten Architekturverlag Detail sogar ein hochwertiges Buch, das die „neue Mitte Blaibachs“ mit Fotos, Plänen und beschreibenden Texten dokumentiert. Es gehe um „die Transformation eines Ortes durch kulturelle Revitalisierung“, sagt Sandra Hofmeister, Herausgeberin des Architektur- und Kunstbuchs. „Das Ergebnis ist eine neu gefundene Identität und eine ganze Region, die sich neu definiert.“ Das Konzerthaus Blaibach sei „ein Mutmacher, ein positives und kraftvolles Vorbild mit starken Akteuren“. Das Dorf sei in einer dramatischen Notlage gewesen, so Hofmeister weiter, wie viele andere Dörfer auch. Nun lebe es wieder und das Neue respektiere und ergänze das Bestehende. Es sei die vereinte Leistung von Machern, Bürgern und Gemeinderat.
All das zeigt Wirkung: Ikonen der klassischen Musik wie die Geigerin Julia Fischer oder die Pianistin Mitsuko Uchida sind bereits im Konzerthaus aufgetreten. Für das Jahr 2020 haben sich nun sogar die Berliner Philharmoniker angekündigt und der Meister des Hauses, Thomas Bauer, träumt schon von einem Auftritt des Startenors Jonas Kaufmann.
Der immerhin rund 580 Kilometer entfernte Bielefelder Kunstverein zeigt von März bis Juli die Ausstellung „Bayerwaldzyklus“ in der alle zwei Jahre stattfindenden Reihe „Baukunst“. Peter Haimerl sei „einer der interessantesten und eigenwilligsten Architekten Deutschlands, der die Grenzen konventioneller Architektur überschreitet“. Seit März 2019 gibt es das Konzerthaus Blaibach sogar auf einer offiziellen Briefmarke der Deutschen Post, für 145 Cent. Thomas Bauer ist überzeugt, dass seine Mutprobe auch ein politisches Symbol sein kann: „Unser Haus zeigt, wie aus einem kulturellen ein touristischer Anziehungspunkt wird.“ Über Kunst entstehe ein neues Gemeinschaftsgefühl für den Lebensalltag eines Dorfes. Zu Beginn der Planungen hieß das Modellvorhaben in Blaibach noch „Ort schafft Mitte“.