Kunstkalender 2021 – Kalenderblatt März
Der Ort, den uns Leon Wachtler zeigt, ist hingegen künstlich konstruiert. Es ist ein Produkt digitaler Bildgestaltung, wie man mit einem scharfen Blick auf die Ränder sofort feststellen kann. Leon Wachtler hat mit einem Zeichenprogramm gearbeitet. Er hat sogar eigene grafische Werkzeuge programmiert, um gewisse Effekte erzielen zu können. Der pastellfarbene Abendhimmel wurde ebenso gezeichnet wie die scharf umrissenen Kuben am Rand der Asphaltfläche oder der plastisch modellierte Rundpfeiler, der das Dach trägt.
Der künstliche Effekt stellt sich insbesondere dort ein, wo die geometrischen Formen reiner Grafik die figürlichen Elemente überlagern: unten und links. Dort sind zwei große dunkle Halbkreise zu sehen. Es sind sozusagen die Aufsetzspuren der digitalen Pinsel; überbreit, um den Asphalt zu grundieren. Darüber sind die kleineren Pinselstriche erkennbar, mit denen der Himmel entstanden ist. Die Flachheit beispielsweise der Häusersilhouetten am Horizont kontrastiert zu den dreidimensionalen Effekten. Es ist die Bildsprache älterer Computerspiele, auf die Leon Wachtler sich bezieht.
In unserer visuellen Kultur wird trotz der Bemühungen einiger Museen dieser eminent wichtige Beitrag noch wenig wahrgenommen. Mit dem Kunstwort »Anemoia«, das die nostalgische Erinnerung an ein Ereignis meint, welches nie stattfand, gibt der Titel einen Hinweis auf die Verknüpfung des real nicht existierenden Ortes mit unseren Gefühlen bei dessen Betrachtung. Dabei wird nur so viel Bildmaterial eingesetzt, wie notwendig ist. Die einsame Tankstelle weckt vielleicht auch die Erinnerung an Szenen, wie sie der Maler Edward Hopper schuf. Nur sind dessen Orte in einer traditionellen malerischen Reduktion entstanden, während »Anemoia 2« deren digitales Erbe einbezieht.
Text: Jochen Meister