Kunstkalender 2021 – Kalenderblatt April
Heutzutage findet die Jagd nicht auf Mammuts, sondern Schnäppchen statt. Die Spur ist gelegt. Eigentlich würde das billige Material, auf das Nata Togliatti malte, ins Altpapier wandern. Mit der Umwandlung in ein Kunstwerk wird ihm plötzlich Dauer verliehen. Wir werden angeregt, unsere Schlüsse am ästhetischen Objekt zu ziehen und können diese immer wieder prüfen. Dies ist ein Stichwort für das Motiv. Die Malerin musste durch einen kuriosen Umstand ihre Arbeit auf sechs Teile beschränken, weil der Hersteller die Form des Kartons änderte.
Nata Togliatti lässt die Kontur des Kartons rotieren, wobei die Malerei immer gleich ausgerichtet bleibt. Bei den »Nussvariationen« kam es zu drei Umdrehungen, die allerdings doppelt ausgeführt wurden. Die ausgestanzte Form dreht sich um eine Art Füllhorn mit Blattwerk, das sehr unterschiedlich ausgeführt ist. Dennoch handelt es sich um die gleiche dekorative Vorlage.
Nata Togliatti hat zu diesem Dekor eine persönliche Beziehung. Es handelt sich um den Ausschnitt aus einem Tapetenmuster. Die mit dem opulenten neobarocken Motiv ausgestattete Tapete befand sich in der elterlichen Wohnung in Russland. Familienfotos erinnern an diese Wohnung, die sich nicht mehr im Besitz der Familie befindet. Eine emotionale Beziehung führt über die Höhle zur Wohnung, die im bürgerlichen Verständnis der geschützte Raum ist, in den sich seine Bewohner zurückziehen können. Die banale, minderwertige Verpackung verwandelt sich durch die Malerei in einen dauerhaften Erinnerungsträger, der kulturgeschichtlich einen weiten Bogen in die Vorgeschichte schlägt.
Text: Jochen Meister