Kunstkalender 2018 – Kalenderblatt Mai
Um es in einen Ablauf zu fassen: Pengfei Lin fotografierte den heimischen Schreibtisch (das Detail der Steckdosen an der Wand links verrät, dass die Aufnahme in China entstanden ist), aus dem er zuvor die Schublade gezogen hatte. Er nahm Foto und Schublade mit nach München, malte das Motiv auf deren Boden, hängte sie mit dem Gemälde an eine weiße Wand und fotografierte sich selbst beim Betrachten seines Werkes. Dieser Akt des Zuschauens, der zugleich eine Art Selbstbildnis ist, steht an zentraler Stelle und gibt der Arbeit ihren Titel. Daraufhin löste Pengfei Lin das Bodenbrett, wendete es und bemalte es auch auf dieser Seite. Als Vorlage diente nun das Selbstbildnis als Zuschauer. Schließlich existiert als (nicht ausgestellter) Teil noch ein drittes Foto. Es entstand wiederum in China und weist darauf hin, dass es sich bei "ZUSCHAUEN" nicht nur um ein gewitztes Spiel der Medien handelt. In das leere Schubfach hatte der Künstler eine schwarze Lade geschoben. Der Schreibtisch mit der schwarzen Schublade wird zur Metapher. Das Konzept, das der Malerei den Charakter eines "Nachdenkens mit dem Pinsel" zuweist, zielt auf Sichtbares wie Unsichtbares zugleich. Niemand kann beide Malereien gleichzeitig sehen, nur die Fotografien. "ZUSCHAUEN" handelt vom Zeigen und Verbergen; und die (nicht gezeigte) schwarze Schublade ist ein Hinweis auf eine zugleich moralische Dimension. Sie stimmt (nicht nur) für ein Land wie Lins Heimat, das sich öffentlich mit Antikorruptionskampagnen schmückt, nachdenklich.
Text: Jochen Meister