Schon in den 1980er-Jahren waren Computer für Julia Ferencz etwas Alltägliches: Im Haus ihrer Eltern, eines Ingenieur-Ehepaars, standen oft mehrere Modelle zur Reparatur. Im Alter von sechs Jahren löste sie bereits ihre erste Programmieraufgabe: Sie codierte einen Hund, der mit dem Schwanz wedelt. „Mein Vater wollte immer, dass ich Informatikerin werde, meine Mutter sah eine Ärztin in mir. Dass ich heute eine Mischung aus beiden bin, ist Zufall“, so die Unternehmerin. In ihrem Heimatland Rumänien besucht sie eine deutschsprachige Schule und ist schon in jungen Jahren so vielseitig interessiert, dass es ihr später schwerfällt, sich für eine Studienrichtung zu entscheiden. Sie schreibt alle Möglichkeiten auf einen Zettel und zieht ihr Fach per Los: Medizin. Sie beginnt ihr Studium in Rumänien, merkt aber schnell, dass sie noch mehr kann – und schreibt sich auch für Business Administration ein. Drei Jahre absolviert sie beide Studien parallel.
„Während dieser Zeit entdeckte ich eine Stellenanzeige von OnkoZert: ein Unternehmen, das für die Deutsche Krebsgesellschaft eine Art von Zertifizierung für Kliniken entwickeln sollte. Es brauchte IT-Experten, die zugleich Mediziner waren – jemanden wie mich.“ Ferencz kommt für einige Wochen nach Neu-Ulm, um beim Aufbau der Firma zu unterstützen: „Herauszufinden, wie man Daten von Kliniken bestmöglich sammelt und auf Anwendungen vereinheitlichen kann, war die Aufgabe.“ Es ist der Beginn einer intensiven Zusammenarbeit über 15 Jahre. In dieser Zeit analysiert Ferencz, mittlerweile Fachärztin für Anästhesiologie, viele Daten, spricht mit Kliniken, Ärztinnen und Ärzten, hilft ausländischen Krankenhäusern, sich auf die Zertifizierung als onkologische Fachklinik vorzubereiten, spezialisiert sich immer mehr auf diesen Bereich. „Ich habe mich bereits während des Studiums für das Fach interessiert. Vielleicht auch, weil ich immer schon wusste, dass ich forschen und nicht am Patientenbett arbeiten möchte.“
Interessant findet sie später auch die klinische Umweltmedizin. Dieser Ansatz sieht den Patienten als Ganzes und betrachtet die Zusammenhänge von Körper, Geist und Umwelt, ähnlich wie die Integrative oder Ganzheitliche Medizin. Ferencz bildet sich über scopro mit einer offiziellen Schulung zur klinischen Umweltmedizinerin weiter. Biochemie, Molekularbiologie und Genetik spielen eine große Rolle, ebenso Toxine, wie Luftverschmutzung und andere äußere Einflüsse, die den Körper belasten. „Die klinische Umweltmedizin behandelt die Ursachen der Erkrankung. Man testet, wovon der Körper zu viel oder vielleicht zu wenig hat. Entsprechend muss man ausleiten oder substituieren. Das alles basiert auf fundierten Ergebnissen und passt sehr gut zur Onkologie“, erklärt Ferencz weiter. „Eine Forschergruppe identifizierte zum Beispiel, dass Tumorzellen viele Metalle enthalten. Dabei stellt sich die Frage: Erscheinen die Metalle, weil sie von den Tumorzellen angezogen werden oder entstehen Tumorzellen in einem Körper, wo mehr Metalle sind – zum Beispiel durch Vergiftungen? Die Krebspatienten wurden mit einer Metallausleitung behandelt und die Tumore sind deutlich zurückgegangen. Das ist pure Forschung. Solche Ergebnisse muss man transparent machen und breiter in die Welt bringen: um Daten vergleichen zu können und daraus Ideen für die Behandlung zu ziehen.“
Das ist einer der Gründe, warum die Vordenkerin im August 2021 die Titan Data Hub gründet: „Ich wollte auch Praxen und Ärzten der klinischen Umweltmedizin die Möglichkeit bieten, mit Softwarelösungen vergleichbar zu dokumentieren, um Artikel schreiben und medizinische Evidenz erstellen zu können.“ Um diesen Plan verwirklichen zu können, stellt sie die Businessidee ihrer Hausbank vor, die eine Gründungsförderung bei der LfA Förderbank Bayern für das Start-up beantragt und bekommt. Die Klinik- und Studiendokumentation ist also ein wichtiges Standbein ihres Unternehmens. Dafür erstellt ihr 13-köpfiges Team Softwareanwendungen für Krankenhäuser, Ärzte und zukünftig auch für Pharmafirmen.
Diese umfassen mittlerweile häufig Patientenbefragungen. „Vielen Patienten fällt es leichter, zum Beispiel über eine App ihre Beschwerden und den Krankheitsverlauf festzuhalten – oft sind sie hier ehrlicher als im direkten Arztgespräch. Durch Befragungen werden Symptome früher ernst genommen. In der Klinik werden diese Informationen dann mit den Patientendaten verknüpft – und helfen bei der Behandlung“, erklärt die Firmengründerin.
Der Slogan ihrer Firma, „Because you can’t spell healthcare without data”, bringt Ferencz’ Engagement auf den Punkt: „Ärzte müssen Daten vergleichen können – über ihre Klinik hinaus. Sonst können sie nur oberflächlich behandeln und keine Vorhersagen machen. In vielen Bereichen des Lebens nutzen wir schon künstliche Intelligenz, im Gesundheitswesen gibt es allerdings noch Nachholbedarf. Hier ist vieles noch nicht mathematisch kompatibel oder standardisiert dokumentiert. Das wollen wir ändern.“
Ferencz bietet mit Titan Data Hub außerdem auch Coachings an und bereitet ausländische Kliniken auf unterschiedliche Zertifizierungen vor: „Um auf einem hohen Niveau anerkannt zu werden, braucht es Nachweise. Es ist wichtig, dass medizinische Standards bekannt sind und eingehalten werden.“ Nach wie vor arbeitet sie eng mit OnkoZert zusammen. Den Gründer von OnkoZert sieht Ferencz als ihren Mentor, dem sie für seine Unterstützung dankbar ist.
Die zweifache Mutter hat noch mehr Pläne für die Zukunft. Schon bald möchte sie in Neu-Ulm eine Praxis für klinische Umweltmedizin eröffnen. „Du und deine Ideen!”, hat Ferencz in ihrem Leben öfter gehört. „Im Unterschied zum Schach, was ich gerne, aber schlecht spiele, sehe ich im Leben oder bei der Arbeit aber 100 Schritte voraus”, erklärt die Ärztin. Sie ist sich sicher, dass auch Patienten Änderungen im Gesundheitswesen vorantreiben – denn in Zukunft werden sie die Wahl ihrer Ärzte immer häufiger von Vergleichsdaten abhängig machen.