Allzu großen Hunger sollte man nicht haben, wenn man die Regioluzzer-Website aufruft. Zu verführerisch ist das Angebot: frische Lebensmittel von kleinen Produzenten aus der Region, nur einen Klick entfernt und bis vor die Haustür geliefert. Zur Auswahl stehen zum Beispiel Bio-Brote von der Bio-Bäckerei Gürtner aus Oberroth, knackiges Gemüse und Obst vom Grasser Hof im Allgäu, Fleisch- und Wurstwaren von der Metzgerei Ruf aus Seefeld und Milchprodukte von der Molkerei Andechser oder der Hofmolkerei Zum Marx. Und Süßigkeitenfans? Schielen nach der Bio-Schokolade von Chocqlate aus München. Alle Waren stammen aus der Region: von Familienunternehmen, Bauernhöfen oder Hofläden. Regioluzzer-Kundinnen und -Kunden können sie bequem von zu Hause aus in den Warenkorb packen. Liebevoll zusammengestellte Kombikisten helfen manchmal bei der Entscheidung:
So enthält „Großer Sonntagsbrunch“ alles, womit man sechs Personen köstlich bewirten kann. Oder doch lieber ein „Französisches Frühstück“ für zwei? Die Bestellungen, die bis 10.30 Uhr eingehen, werden von Gulde und ihren Mitarbeitenden gesichtet und an die Zulieferer weitergeleitet. Bis zum nächsten Tag erhalten die Kunden ihren Einkauf dann in einer Pappkiste samt Kühltasche, die wieder zurückgegeben werden kann.
Nicht nur dieses Verpackungssystem macht Regioluzzer zu einem nachhaltigen Start-up, sondern vor allem die optimierten Routen in Verbindung mit der Bündelung der Produkte regionaler Einzelanbieter. „Es wäre ja Quatsch, wenn jeder mit dem Auto zehn Kilometer fahren würde, nur für zwei Kilo Kartoffeln“, findet Gulde. Außerdem ist bei Regioluzzer kaum etwas auf Vorrat da, geordert werden die Produkte erst nach Eingang der Bestellungen – so vermeidet Gulde unnötige Lebensmittelverschwendung. „Ich würde mir wünschen, dass sich die Menschen wieder daran gewöhnen, kleinere Mengen zu kaufen und nicht mehr so viel wegzuwerfen“, sagt sie.
Ein weiterer Grundsatz des Unternehmens lautet: Wenn etwas aus ist, ist es aus – und je nach Saison werden manche Produkte eben gar nicht erst angeboten. „Wir haben gelernt, dass im Supermarkt immer alles verfügbar ist. Deswegen erscheint es erst mal unbequem, wenn etwas nicht im Angebot ist.“ Dabei sind genau dieses Anspruchsdenken und die damit verbundenen langen Transportwege der Lebensmittel ein Riesenproblem. „Viele haben das nicht auf dem Schirm. Aber ein Einkauf für 50 Euro im normalen Lebensmittelhandel verursacht genauso viele Treibhausgase wie eine Autofahrt von Stuttgart nach München“, so Gulde.
Auch die Qualität der Produkte leidet unter den langen Wegen. „Viele Kunden erzählen mir überrascht: Ich hatte vergessen, dass ich bei dir einen Salat gekauft habe, aber als ich ihn aus dem Kühlschrank geholt habe, war er immer noch richtig frisch“, sagt Gulde. Ihre Produkte seien eben nicht schon „müde“, wenn sie bei den Kunden ankommen – und das merke man. Als Enkelin bretonischer Milchbauern weiß Gulde frische und regionale Lebensmittel schon von klein auf zu schätzen. Sie studiert Agrarwirtschaft und steigt erst in Frankreich, dann in Deutschland in die Lebensmittelindustrie ein. Auch privat ist sie ein echter Foodie und nimmt gern in Kauf, dass sie manchmal etwas Zeit in Recherche investieren muss, um besonders tolle Produkte zu finden.
Als sie 2018 ein Kind adoptiert und ein Jahr in Elternzeit geht, findet sie endlich die Zeit, regionale Lebensmittel in den umliegenden Hofläden und Bäckereien zu kaufen. Das bedeutet neben dem zeitlichen Aufwand allerdings viel Fahrerei. Als sie wieder ins Arbeitsleben einsteigt, machen es ihr die Fahrtwege und die unterschiedlichen Öffnungszeiten schwer – sie muss doch wieder in den Supermarkt. „Dabei treffen wir mit jedem Einkauf weittragende Entscheidungen“, sagt Gulde. So wie ihr geht es auch anderen – etwa Familien, die sich für gute Qualität, Nachhaltigkeit und Ernährung interessieren, die es aber nicht schaffen, am Dienstagvormittag auf den Markt zu gehen und noch rechtzeitig zum Metzger zu fahren. Damit ist die Idee für Regioluzzer geboren. Gulde nimmt an Messen teil, vernetzt sich mit anderen Gründern und Gründerinnen, setzt einen Businessplan auf und lässt sich von einem Gründercoach beraten. Sie analysiert den Markt, baut sich ein Netzwerk aus Produzenten auf und konzipiert ihre Marke und Website. Sie startet ihr Unternehmen zunächst eigenfinanziert, wird aber bald von ihrem Gründercoach auf die LfA Förderbank Bayern aufmerksam gemacht. Der Startkredit und der Universalkredit geben ihr die Möglichkeit, sich auch nach der ersten Gründungsphase voll und ganz auf ihr Start-up zu konzentrieren.
Und das trägt schnell Früchte: Eineinhalb Jahre nach der Gründung liefert Gulde die erste Kiste mit regionalen Lebensmitteln aus, zunächst als Testversion an Freunde und Verwandte, dann auch an die ersten Fremdkunden. Die meisten von ihnen sind Paare um die vierzig mit Kindern, die im Großraum München leben – berufstätig und kochaffin. Und proaktiv: Sie schlagen konkrete Produkte vor, die sie sich für das Sortiment wünschen. „Wir freuen uns über neue Ideen und versuchen, sie umzusetzen. Wenn jemand einen Wunsch äußert, ist er mit großer Wahrscheinlichkeit auch für andere Kunden relevant.“ Gulde arbeitet daran, ihr Produktsortiment stetig zu erweitern. Neben den Lebensmitteln für den Wocheneinkauf gibt es mittlerweile auch in München gerösteten Kaffee oder HeumilchJoghurt. Immer wieder kommen Anfragen von Start-ups rein, die an einer Zusammenarbeit interessiert sind. „Gerade arbeiten wir außerdem daran, auch Non-Food-Produkte anbieten zu können“, erklärt Gulde, „natürlich ebenfalls nachhaltig, regional und ohne Verpackungsmüll.“