Sie lacht viel und ist auf Anhieb sympathisch. Sie denkt und spricht beeindruckend schnell. Und sie hat zusammen mit Dr. Christian Haigermoser innerhalb von acht Jahren das Unternehmen Vectoflow aufgebaut, das in seinem Bereich weltweit führend und einzigartig ist. Ein Gespräch mit der Münchnerin Katharina Kreitz macht auch deshalb so viel Spaß, weil sie entwaffnend offen und direkt ist. Und weil ihr Büro in Gilching einen spektakulären Blick auf die Landebahn des Sonderflughafens Oberpfaffenhofen bietet. Dort startet und landet so manches Flugzeug, an dessen Entwicklung die 35-Jährige maßgeblich mitgewirkt hat.
Die berühmte Partyfrage: „Und was machst du beruflich?“ Was antworten Sie darauf?
Oje, das ist wirklich nicht ganz einfach zu erklären. Selbst meine Mama weiß erst seit zwei, drei Jahren, was ich ganz genau mache. Einfach gesagt: Wir messen Strömungen, egal ob von Wasser, Luft, Gas oder Öl – Hauptsache, es bewegt sich. Bei den Messungen werten wir alle möglichen Parameter aus, also Geschwindigkeit, Temperatur, Druck und Anströmwinkel. Diese Messdaten können dann später zur Optimierung des Produkts genutzt werden. Also zum Beispiel, um ein Auto areodynamisch optimal zu gestalten. Oder um eine Drohne auf eine Windböe vorzubereiten und die Steuerung entsprechend anzupassen.
Und wie werden diese Daten gemessen?
Damit das möglich ist, startet die Reise bei uns im Windkanal. Hier wird der Sonde quasi das Hirn gegeben. So kann ich beispielsweise eine Windgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern einstellen und der Wind kommt von bis zu +/–25 Grad seitlich. Dann fahre ich ganz viele Punkte ab, verschiedene Geschwindigkeiten und Winkel. Wenn die Sonde später beim Kunden in der richtigen Applikation ist, erinnert sie sich quasi: Ja, genau diese Konditionen hatte ich „damals“ im Kalibrierwindkanal bei Vectoflow. Der große Teil unserer Arbeit besteht also auch darin, unsere Sonden auf diese Weise zu kalibrieren.
Ihr Unternehmen hat auch einen eigenen Windkanal.
Ja, aber er ist nicht zu verwechseln mit einem zum Beispiel bei BMW, in den ein komplettes Fahrzeug reinpasst. Der Vectoflow-Windkanal hat in den Außenmaßen ungefähr die Größe eines normalen Überseecontainers. Unsere Messtechnik ist relativ klein und der Windkanal muss auf eine deutlich höhere Geschwindigkeit kommen, also über Schallgeschwindigkeit. Je größer der Windkanal aber ist, desto mehr Energie muss für die Erzeugung von Geschwindigkeit aufgewendet werden.
Zu den Kunden von Vectoflow gehört auch die NASA. Was können Sie, was die nicht können?
Wie bei allen großen Unternehmen werden auch bei der NASA bestimmte Dienstleistungen outgesourct. Wir sind eben die absoluten Spezialisten für Sensorik und Aerodynamik. Und auch für 3-D-Druck. Damit können wir inhouse Sonden herstellen, die widerstandsfähiger sind als die meisten anderen auf dem Markt. Die Einsatztemperatur unserer Sonden reicht bis zu 1.800 Grad Celsius. Wir haben zudem die kleinste Sonde der Welt entwickelt. Das ist ein signifikanter Vorteil, denn eine Sonde soll ja die Strömung messen und selbst nur möglichst minimalen Einfluss auf die Strömung nehmen. Wir können deutlich genauer messen als unsere Wettbewerber, was auch an unserer selbst entwickelten Software liegt. Unser Windkanal hat eine Qualität, die so einzigartig ist, dass sogar ein großer Triebwerkhersteller, der in der Nähe seinen Sitz hat, bei uns die Sonden kalibrieren lässt.
Wollten Sie denn eigentlich immer Unternehmerin werden?
Überhaupt nicht, das war wirklich nicht mein Lebensplan. Ich bin da eher reingerutscht. Eigentlich hab ich die Firma gegründet, um mir selbst Probleme mit der vorhandenen Messtechnik zu ersparen. Denn während des Studiums an der TU in München hab ich schon immer in Unternehmen im Messbereich gearbeitet. Zum Beispiel bei der NASA, bei Airbus, bei BMW. Es gab damals nur einen einzigen Hersteller für Messsonden in den USA und ich war mit der Anwendung seiner Produkte alles andere als zufrieden. Dann saß ich eines Tages mit Dr. Christian Haigermoser zusammen, der meine Diplomarbeit betreute. Und ihm ging’s genauso. Wir haben überlegt: Kann man die relativ kleinen und dünnwandigen Messsonden aus Metall eigentlich auch im 3-D-Drucker herstellen? Wir sind zum benachbarten Unternehmen EOS gegangen, ein Spezialist für industriellen 3-D-Druck, und haben wohl 1.000 Versuche gestartet. Irgendwann waren wir dann mit dem Ergebnis zufrieden. So haben wir 2015 gemeinsam Vectoflow gegründet, sind nach und nach gewachsen und hatten irgendwann dieses imposante Unternehmen.
War es von Anfang an eine Erfolgsgeschichte?
Wir konnten bereits im ersten Jahr die ersten Kunden gewinnen, unter anderem ein Formel-1-Team. Da wir in einer absoluten Nische arbeiten, hat sich rasch rumgesprochen, was wir machen und können. Nachdem das Gründungsstipendium EXIST ausgelaufen war, haben wir von verschiedenen Seiten finanzielle Unterstützung erhalten. Wir sind aber nicht so ein typisches Start-up, bei dem es von Anfang an „Growth, Growth, Growth” hieß, die schwarze Null jedoch in weiter Ferne stand. Stattdessen haben wir versucht, möglichst schnell ins Plus zu kommen. Das war vielleicht in den Zeiten unserer Unternehmensgründung nicht so sexy und cool, aber heute zahlt sich diese bodenständige Strategie aus.
Kann man sagen, Vectoflow spielt an der Weltspitze mit?
Ohne überheblich klingen zu wollen: ja! Wir haben mittlerweile Kunden in über 80 Ländern und ein Kundenspektrum mit einer extremen Bandbreite. Die reicht vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und Airbus über Siemens sowie den Automatisierungstechnik-Konzern ABB bis hin zu Automobilkonzernen wie Porsche, Toyota, Tesla und fast allen Formel-1-Teams. Auch Öl- und Gaskonzerne zählen zu den Vectoflow-Stammkunden. Unsere Branche ist ein Empfehlungsgeschäft und basiert viel auf Vertrauen. Wenn ein Kunde mit einem kleinen Auftrag happy war, dann kriegt man einen größeren Auftrag. Und das spricht sich dann herum.
Was waren die Gründe, dass das Unternehmen als Standort Gilching bei München wählte?
Ich hab gefühlt fast schon überall in der Welt gelebt, aber bin immer wieder nach München zurückgekommen, weil ich die Stadt toll finde. Ich bin ja auch ein „halbes Münchner Kindl“, also in erster Generation hier geboren. Es ist schon praktisch, dass wir ringsum in Bayern viele Firmen als Kunden haben, das hat uns besonders am Anfang sehr geholfen. Auch die Nähe zur TU in München und dem Zentrum für Innovation und Gründung der Hochschule ist ein Pluspunkt. Das ist ein tolles Netzwerk, von dem wir profitieren. Auch die kurzen Wege zu Luft- und Raumfahrtunternehmen sind schon ganz praktisch. Da heißt es öfter mal: „Kannst du mal schnell rüberkommen?“ Aber einen persönlichen Grund möchte ich nicht verheimlichen: Ich bin eine leidenschaftliche Skifahrerin und da ist München natürlich eine ideale Ausgangsbasis. Besonders gerne fahre ich im Montafon, wo meine Familie ein Haus hat.
Haben Sie mit Ihrem Unternehmen die Möglichkeit, Frauen zu unterstützen, die sich für den Ingenieurberuf entscheiden?
Bei uns arbeitet aktuell eine Ingenieurin, wir würden aber liebend gerne noch viel mehr Frauen einstellen. Die Frage ist: Woher sollen sie kommen? In meinem Studienjahrgang waren nur zehn Prozent der Studierenden Frauen. Der Prozentsatz steigt jedoch in den letzten Jahren an. Was auch an der Einführung des Bachelor- und Masterstudiums liegt, die viel gebracht hat. Zuvor schreckte viele Frauen die Länge des Studiums ab.
War für Sie früh klar, dass Sie Ingenieurin werden wollen?
Ja und nein. Da meine Mutter Mathe überhaupt nicht mag, aber sehr sprachbegabt ist, wurde ich in ein neusprachliches Gymnasium gesteckt. Ich hab mit Französisch, Englisch und Spanisch angefangen. Dann die ersten Klausuren: Französisch 5, Mathe 1. Ich glaube, dass gerade bei Mädchen der Einfluss von außen sehr prägend ist. Wenn es ständig heißt „Mathe, das versteht eh keiner“, dann trägt das nicht zur Attraktivität des Fachs bei. Dabei ist Mathe eigentlich wunderbar für Faule: Einmal verstanden, nie wieder lernen! Man muss nicht monatelang Vokabeln pauken. Aber das Marketing für Mathe sollte besser werden. Wir müssen zeigen, dass es da nicht nur um langweilige Gleichungen geht. Die Lehrerinnen und Lehrer sollten auch mal einen 3-D-Drucker mit ins Klassenzimmer nehmen – wie wir das an TecDays machen. So lässt sich auf anschauliche Art demonstrieren, welche faszinierenden Möglichkeiten die Mathematik als Basis bietet. Wir sollten damit schon in der Grundschule anfangen, denn dort werden die Kinder geprägt. Und die Leistungen von Mädchen und Jungen in Mathe sind in den ersten vier Schuljahren, statistisch gesehen, nahezu identisch.
Sind Sie denn die Erste Ihrer Art in der Familie, die sich den Tiefen der Naturwissenschaft widmet?
Das nicht, denn mein Vater arbeitet in einem noch „nerdigeren“ Bereich als ich. Er macht Brückenübergangskonstruktionen für Bahngleise. Die Berufswahl in meiner Familie ist also schon sehr speziell.