Blick aus einem Tagungsraum auf die Alpenkulisse
Menschen

Urlaub mit frischem Blick

Die Zukunft des Tourismus liegt im Miteinander – seine Angebote sind nicht nur für Touristen da, sondern auch für Einheimische. Der Kulturhof Stanggass will Vorreiter sein
TEXT Alissa Selge

Wie entsteht Wandel? Manchmal mit vielen losen Ideen. Ohne Einschränkungen und Denkverbote. Aber beginnen wir mit dem Ort. Und mit einer Aussicht, die so spektakulär ist, dass noch der größte Stress von einem abfällt. Es ist einer von diesen Orten, die einen mit der Welt versöhnen: Die großen Panoramafenster bieten einen beeindruckenden Blick auf die majestätische Bergkulisse von Berchtesgaden und ein Naturschwimmteich verlockt zum Entspannen. Natürlich kann man hier ein paar herrliche Tage urlauben. Der Kulturhof Stanggass ist allerdings viel mehr als ein Hotel: ein Ort der Begegnung. In jedem Gebäude lädt er Touristen und Einheimische dazu ein, Teil einer Gemeinschaft zu werden. Ob im Gourmetstüberl, im Biergarten, im hauseigenen Yogastudio oder im CoWorkingSpace: Im Kulturhof soll gefeiert, Kultur und Genuss zelebriert, Natur gelebt werden.

Speisesaal des Kulturhofs
Küchenchef Norman Beitz und sein Team

Küchenchef Norman Beitz und sein Team

kümmern sich um das leibliche Wohl ihrer Gäste.

Im November 2021 öffneten sich erst­mals die Pforten des Kulturhofs – seit­ dem wird das Motto „Hier ist Beieinan­der“ auch in der Praxis gelebt. Initiator dieses Konzepts ist der Unternehmer Dr. Bartl Wimmer. Der 61­Jährige ist in Berchtesgaden aufgewachsen und tief in der Region verwurzelt. Als Vorsitzender des Zweckverbands Bergerlebnis Berchtesgaden be­schäftigt er sich schon lan­ge mit der Zukunft seiner Heimat, außerdem enga­giert er sich seit über 35 Jahren in der Kommunal­politik. „Es ist eine riesige Aufgabe, Tourismus so zu leben und zu gestalten, dass er den hier lebenden Menschen – vor allem den jungen – wirkliche Vorteile bringt“, erklärt er. Gerade im Alpenraum wandern immer mehr Leute in die Städte ab. Auch aus Wimmers Abiturklasse sind nur drei Mitschülerinnen und Mitschüler in der Region geblieben. Die Tourismusbran­che muss laut Wimmer den Generati­onswechsel schaffen: „Sie muss junge Leute dafür begeistern, in attraktive Be­herbergungen mit regionalen Produk­ten zu investieren, von deren Betrieb man vernünftig leben kann.“ Diese Denkweise unterscheide sich funda­mental davon, wie Tourismus bisher oft umgesetzt wurde: mit großen Fremdinvestitionen und Resorts, in denen keine oder nur sehr wenige Einheimische arbeiten. Die Folge: Die Wertschöpfung wandert aus der Region ab. Ganz abgesehen davon, dass kein Kontakt mehr zwi­schen Gästen und Einhei­mischen stattfindet. „Die­se Art des Tourismus muss anders gedacht und ge­staltet werden – und dazu wollen wir mit dem Kulturhof wirklich einen Beitrag leisten“, sagt Wimmer.

Nun muss man wissen, dass Wimmer eigentlich kein Hotelier, sondern La­borarzt ist. Als junger Mann sammelt er im Zivil­dienst Erfahrungen im Rettungsdienst und entscheidet sich anschließend für ein Medizinstudium in München und Regensburg. Später wechselt er in die Labormedizin.

Und das sehr erfolg­reich: 1998 gründet er die Synlab­ Gruppe – einen börsennotierten An­bieter von Laborleistungen mit heute über 20.000 Mitarbeitenden –, die er als CEO leitete. „Jede neue berufliche Möglichkeit bin ich mit Herzblut und Einsatz angegangen. Nichts davon war so geplant“, so Wimmer.

Das gilt auch für den Kauf des Kulturhof­ Grund­stücks. Mehr als hundert Jahre steht dort das Hotel Geiger, eine der renommiertesten Adressen in Berchtes­gaden. 1997 müssen die Inhaber Insol­venz anmelden. Fast 20 Jahre liegt das Gelände brach. Immer wieder gibt es Nutzungs­- und Versteigerungsvor­schläge – die Wimmer aber nicht zusa­gen. „Deswegen habe ich es dann selbst ersteigert“, erzählt er schmun­zelnd. Er setzt sich ehrgeizige Ziele: Das moderne Konzept soll mit einer traditionellen Bauweise vereint und alle Prozesse so nachhaltig wie möglich ge­staltet werden. Die Arbeiten auf der Großbaustelle übernehmen überwie­gend lokale Unternehmen. Das Holz für die Gebäude kommt aus den heimi­schen Wäldern. Es ist Mondholz – wur­de also unter Berücksichtigung des forstwirtschaftlichen Mondkalenders gefällt. Der Kulturhof gewinnt seine Energie durch eine Hackschnitzelanlage und Solarzellen, die natürliche Däm­mung des Holzes sorgt außerdem für einen geringen Energieverlust. Der Betrieb der Hotelanlage ist so energie­sparend möglich und außerdem ver­gleichsweise unabhängig von steigen­den Energiepreisen.

Alle Gebäude mitsamt ihrer modernen Energieversor­gung konnten mit einer Förderung der LfA finanziert werden. Auch im laufenden Betrieb wird regional großge­schrieben: Die Küche des Gasthauses kocht mit Zutaten aus der Umgebung, frische Kräuter kommen aus dem eige­nen Gewächshaus, das Obst wird von den umliegenden Streu­obstwiesen geerntet.

Kulturhof-Initiator Dr. Bartl Wimmer

Dr. Bartl Wimmer,

Initiator des Kulturhofs

Was Wimmer in der Branche zum Positiven verändern möchte, fasst er unter dem Begriff „En­keltauglichkeit“ zusam­men: „Für die junge Ge­neration muss eine wirtschaftliche Basis geschaffen werden, die ihr ein Einkommen ermöglicht. Den Tou­rismus als attraktiven Arbeitgeber zu gestalten, ist allerdings genauso wich­tig wie ein kulturelles Angebot, das jüngere Leute im ländlichen Raum hält.“

Areal des Kulturhos mit Pool, Gebäuden in malerischer Landschaft

Auf dem vier Hektar großen Areal

fügen sich die energiespa­renden Gebäude aus Mondholz in die malerische Landschaft ein

In der Praxis heißt das, dass im Kulturhof 50 bis 70 Veranstaltungen pro Jahr geplant sind: Konzerte, Thea­terabende, Ausstellungen. Das große Werkstattatelier bietet Platz für Kreativi­tät und das „Regional­-Labor“ lädt re­gelmäßig zu Diskussionen darüber ein, was ein „gutes Leben“ in der Region ausmacht. Dazu passt auch, dass die ei­gene Familie mitmacht: Wimmers Toch­ter Miriam ist verantwortlich für die Ob­jektgestaltung, ihr Mann Nuri Irshaid ist im Projektmanagement tätig und Wim­mers Sohn Florian hat die Geschäftsfüh­rung übernommen. Sie waren von Anfang an dabei.

Wir haben uns selbst keine Denkverbote gegeben

Über zwei Jahre ver­dichtet die Familie lose Ideen zu einem konkreten Konzept. „Wir haben uns am Anfang überhaupt keine Denkverbote gegeben. Es war wie ein Wolkenbild am Himmel, das sich konstant verändert hat.“ Am Ende kreist immer wieder alles um den Be­griff „Beieinander“. Er wird zum alles prägenden Leit­motiv.

Das Wir­-Gefühl schlägt sich vor allem bei den 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nieder. Der Kulturhof bemüht sich um flache Hierarchien und um eine Zusammenarbeit der Säulen Hotel, Kulinarik, Veranstal­tung, Bewegung und Kreativität. Und um einen Austausch zwischen Menschen aus der Gegend und Besu­chern.

„Die wichtigsten Ressourcen für die Zukunft sind keine finanziellen Mit­tel, sondern vielmehr zufriedene Mit­arbeiterinnen und Mitarbeiter“, findet Bartl Wimmer. Das gelte für den Tourismus genauso wie für die Medizin.

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