Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Monika Schnitzer
Schwerpunkt-Thema

„Die Digitalisierung wird das gesamte Geschäftsmodell verändern“

Der Ausbau regenerativer Energien, Innovationsnetzwerke, flexible Arbeitsmodelle: Die Zeit des Wandels eröffnet viele neue Perspektiven. Ein Gespräch mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Monika Schnitzer
Interview: Martin Fraas

Die beiden Corona-Jahre waren für viele Unternehmen eine schwere und mitunter existenzbedrohende Zeit. Sorgten sie, sozusagen notgedrungen, auch für nachhaltige positive Entwicklungen der bayerischen Wirtschaft?

Ja, gerade die Digitalisierung hat einen enormen Schub bekommen. Die Unternehmen mussten reagieren und ihre Prozesse umstellen. Die meisten haben das gut hingekriegt. Nehmen wir zum Beispiel Videokonferenzen, die funktionieren inzwischen ganz selbstverständlich und werden auch in Zukunft viele Dienstreisen überflüssig machen. Man hat zudem gesehen: Homeoffice kann, entgegen vielen Vorbehalten, funktionieren. Die Leute machen ihre Arbeit auch zu Hause verlässlich. Und profitieren von der Flexibilität, weil sie nicht an feste Bürozeiten gebunden sind. Natürlich braucht es weiterhin noch das persönliche Zusammenkommen, aber nicht mehr täglich, sondern zu festgelegten Zeiten. Viele Unternehmen überlegen deshalb, ob sie ihre Büroflächen verringern können.

Welche Auswirkungen erwarten Sie vom Angriffskrieg auf die Ukraine für die deutsche und bayerische Wirtschaft?

Schon vor Ausbruch des Angriffskriegs haben die hohen Energiepreise die wirtschaftliche Entwicklung gebremst. Nach Ausbruch des Krieges sind sie durch die hohe Unsicherheit weiter gestiegen, dazu kommt die Sorge vor einem möglichen Lieferstopp, insbesondere von Gas. Wenn es tatsächlich zu einem Lieferstopp käme, würden wir mit einer schweren Rezession rechnen müssen. Umso wichtiger ist es jetzt, so schnell wie möglich alternative Bezugsquellen aufzutun und die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen vorzunehmen. Dazu gehören u. a. der Bau der LNG-Terminals für Flüssiggas und die Anpassung der Pipeline-Infrastruktur. Das alles wird viel Geld kosten, aber es führt kein Weg daran vorbei, wir müssen uns auf alle Eventualitäten vorbereiten.

Indem wir erneuerbare Energien künftig umfangreicher vor Ort selbst produzieren, machen wir uns weitaus weniger abhängig von den Preisen für Gas- und Ölimporte.

Werden die Energiepreise weiter steigen?

Das hängt ganz vom weiteren Kriegsverlauf ab und ob es zu einem Lieferstopp kommen wird. Mit einem raschen Rückgang der Energiepreise ist jedenfalls nicht zu rechnen.

Kann der starke Anstieg der Energiepreise den Wirtschaftsstandort Bayern gefährden?

Der starke Anstieg belastet die Wirtschaft, keine Frage. Aber indem wir erneuerbare Energien künftig umfangreicher vor Ort selbst produzieren, machen wir uns weitaus weniger abhängig von den Preisen für Gas- und Ölimporte. Die Kosten für regenerative Energien konnten in den letzten Jahren um 90 Prozent gesenkt werden. Das heißt, die alternativen Energien sind inzwischen bereits günstiger als der Bau und Betrieb eines Atomkraftwerks, zumal wenn dessen hohe Folgekosten berücksichtigt werden. Die Erfahrungen mit der Ölkrise in den 70er-Jahren zeigen, dass die hohen Ölpreise damals einen gewaltigen Innovationsschub ausgelöst haben und die Energieeffizienz enorm gesteigert wurde. Gerade Japan hat das vorgemacht. Ich könnte mir vorstellen, dass wir nach dieser Krise einen ähnlichen Effekt sehen werden.

Sehen Sie in den Rückverlagerungstendenzen, besonders auch im Hinblick auf die Stabilität von Lieferketten, einen Trend?

Das Modeunternehmen C&A hat beispielsweise angekündigt, einen Teil der Textilproduktion wieder nach Deutschland zurückzuholen. Es wird sicher Produkte geben, die man zukünftig mit entsprechender Automatisierung in Deutschland und Bayern wieder kostengünstig herstellen kann. In der Corona-Krise haben wir aber gelernt, dass wir unsere Lieferketten sehr viel stärker diversifizieren müssen. Und diese Erfahrung haben wir nach dem russischen Angriff auf die Ukraine erneut machen müssen, als die Automobilwerke stillstanden, weil die Lieferungen der Kabelbäume aus der Ukraine ausfielen. Die Frage ist aber gar nicht so sehr, ob wir hier vor Ort produzieren. Entscheidender ist, das nicht nur an einem Standort zu tun. Das heißt: Die Diversifizierung der Produktion und Logistik wird in der Zukunft eine wesentliche Rolle spielen.

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer im Gespräch mit einem Journalisten

Monika Schnitzer im Gespräch mit Martin Fraas vom LfA-Magazin

Wird der internationale Finanzfluss in bayerische Unternehmen weiter anhalten oder sogar noch zunehmen?

Bayerische Unternehmen sind gerade auch für ausländische Investoren attraktive Kandidaten. Doch in Zukunft wird noch stärker im Fokus stehen, ob man dieses Kapital auch wirklich will. Denn es birgt die Gefahr, Kontrolle und Einfluss zu verlieren. Das kann bei bestimmten Technologien heikel sein. Ein Beispiel ist das Unternehmen Siltronic, das Wafer für die Halbleiterproduktion herstellt. Die Übernahme durch einen taiwanesischen Konzern wurde vom Bundeswirtschaftsministerium nicht genehmigt. Wie viel ausländischen Einfluss wollen wir also haben? Das ist eine wichtige Diskussion, die wir in Zukunft noch stärker führen müssen. Denn einerseits wollen wir Kapital anziehen, jedoch besonders bei strategisch wichtigen Unternehmen den Einfluss von außen möglicherweise begrenzen.

Mit ihrer Innovations- und Umweltförderung unterstützt die LfA Förderbank Bayern ganz gezielt auch Investitionen in Ökologie und Energieeffizienz. Welche Herausforderungen für die bayerische Wirtschaft sehen Sie in der derzeitigen bundespolitischen Zielsetzung eines radikalen ökologischen Umbaus in kurzer Zeit?

Ich denke, es ist auch eine große Chance. Man muss sie allerdings richtig nutzen. Wir müssen in neue Technologien investieren und die Maschinen entwickeln, die für den Umbau notwendig sind. Die können künftig zum Exportschlager werden. Es kommt jetzt aber darauf an, schnell in die Gänge zu kommen, um sich im internationalen Wettbewerb eine gute Ausgangsposition zu verschaffen.

Ist der Wirtschaftsstandort Bayern gut für die Zukunft gerüstet?

Insbesondere im Großraum München gibt es ein großes Cluster an Universitäten und Forschungseinrichtungen, innovativen Unternehmen und Finanzgebern. Man hat auch seitens der Politik viel getan, um beispielsweise Innovationsnetzwerke aufzubauen. Das Rennen um das Silicon Valley Europas ist noch offen. Aber ich denke, München hat die Nase vorn. Wesentliche positive Standortfaktoren sind auch die politische Stabilität sowie eine funktionierende Verwaltung. Handlungsbedarf besteht in Bayern immer noch bei der Infrastruktur, insbesondere beim Breitbandbau.

Man kann die Bedeutung der Digitalisierung gar nicht hoch genug einschätzen.

Welche Innovationen darf Bayern auf keinen Fall verpassen, um weiterhin ein attraktiver Standort zu bleiben?

Allen voran die Digitalisierung. Man kann ihre Bedeutung gar nicht hoch genug einschätzen, weil sie nicht nur die Effizienz steigert, sondern auch das gesamte Geschäftsmodell verändern wird. Beispiel Auto: In Zukunft wird die Software einen großen Teil der Wertschöpfung ausmachen. Zum Beispiel beim Einsatz von Fahrassistenzsystemen, bis hin zum autonomen Fahren. Dafür spielt auch künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle. Für die Software wird man in Zukunft regelmäßig Updates verkaufen können. Wir sehen einige Unternehmen in Bayern, die bei der Digitalisierung schon weit sind. Die meisten, insbesondere aus dem Mittelstand, reagieren jedoch zögerlich. Was daran liegen kann, dass ihnen die entsprechenden Fachkräfte oder eine detaillierte Einsicht in die individuellen Möglichkeiten fehlen.

Können die extrem steigenden Immobilien- und Mietpreise in Bayerns Ballungsräumen, insbesondere im Großraum München, den Standort gefährden?

Lediglich für absolute Spitzenfachkräfte mit hohen Gehältern, zum Beispiel in den neuen Hightech-Unternehmen wie Microsoft oder Apple, ist das kein großes Problem. Doch gerade der ständige Zuzug von Gutverdienern lässt die Mieten und Immobilienpreise weiter ansteigen.

Das ist eine Entwicklung, der entgegengewirkt werden muss. Man kann über eine noch stärkere Verdichtung oder höhere Bebauung nachdenken, aber das finden nicht alle gut. In jedem Fall muss das Immobilienangebot gesteigert werden. Man könnte auch überlegen, die Arbeitswelt stärker zu entflechten. Wir haben bereits darüber gesprochen, dass bestimmte Tätigkeiten zukünftig ins Homeoffice verlagert werden. Zudem könnten Unternehmen Teile ihrer Tätigkeit in Regionen auslagern, in denen der Immobilienmarkt noch nicht so angespannt ist. Die Behörden haben das erfolgreich vorgemacht.

Gibt es Länder, von denen Bayern bei der zukünftigen wirtschaftlichen Ausrichtung lernen kann?

Ich würde nicht ein einzelnes Land hervorheben wollen. Die Lerneffekte beziehen sich immer auf Teilbereiche. Israel ist zum Beispiel sehr stark in Cybersecurity, was auch daran liegt, dass sie Lösungen fürs Militär entwickeln müssen. Bei der digitalen Verwaltung sind Estland und Südkorea Länder, die in der Umsetzung weit voraus sind.

Sie sind eine der Vorreiterinnen im Kampf gegen traditionelle Rollenbilder. Was könnte eine höhere Frauenquote für den Wirtschaftsstandort Bayern bewirken?

Ich bin überzeugt, dass wir da sehr viel gewinnen können, insbesondere Diversität und damit Kreativität und Innovationskraft. In sehr homogenen Führungsebenen wird oft zu eng gedacht. Auf den Punkt gebracht, ist es so: Wir bilden unsere Frauen sehr gut aus, an den Universitäten sind mittlerweile mehr als die Hälfte der Studierenden Frauen. Aber viele von ihnen arbeiten, sobald sie eine Familie gründen – wenn überhaupt – nicht mehr Vollzeit. Da geht uns viel verloren.

Sie haben drei Töchter und erfahren also hautnah, welche Erwartungen die nachfolgende Generation an die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ausrichtung hat.

Es ist offensichtlich, dass die junge Generation, und dafür stehen auch meine Töchter, ihr Leben anders gestalten möchte, als dies früher Tradition war. Arbeit bleibt wichtig, aber sie soll partnerschaftlich aufgeteilt werden, ebenso wie die Familienarbeit gerecht geteilt werden soll. Die Unternehmen müssen zukünftig auch Berufsgruppen mit hoher Verantwortung die Möglichkeit geben, ihre Arbeit in flexiblerer und wenn erwünscht auch etwas reduzierter Form zu leisten. Der demografische Wandel wird dazu beitragen, notwendige Veränderungen zu beschleunigen. Die Unternehmen müssen sich auf die Wünsche der jungen Generation einstellen, sonst bekommen sie nicht die Leute, die sie gewinnen wollen und müssen. Sie sollten das als Chance verstehen, ihre Abläufe zu überdenken.

Was Innovation voranbringt

Prof. Dr. Schnitzer gilt auch als Spezialistin für Innovations- und Wettbewerbsfragen, die sie mithilfe von Mikrodaten analysiert. Hier drei Erkenntnisse aus ihrer aktuellen Forschung:

Auf Wissenschaft basierende Innovationen sind besonders wertvoll.

Patente, die auf wissenschaftlicher Forschung basieren, sind riskanter, bringen dem Unternehmen aber im Durchschnitt deutlich mehr Gewinn. Was auch ein Argument für den Wissenschaftsstandort Bayern ist.

Es lohnt sich, Patente auch für andere Unternehmen nutzbar zu machen.

Die Lizenzierung von Patenten führt zu einem enormen Innovationsschub bei anderen Unternehmen, die darauf aufbauen und eigene Innovationen entwickeln können.

 

Das konnte man sehen, als AT&T 1956 im Rahmen eines Antitrust-Verfahrens gezwungen wurde, seine Patente zu lizenzieren.

Monopole hemmen die Innovationskraft.

Unternehmen, die keinem Wettbewerb ausgesetzt sind, beschränken sich in ihren Möglichkeiten und sind weniger innovativ, weil sie Sorge davor haben, sich selbst Konkurrenz zu machen. Wettbewerb hingegen zwingt die Unternehmen, bessere Produkte und Technologien zu entwickeln.

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