Kunstkalender 2024 – Kalenderblatt November
Mit präzise choreografierten Bewegungen, die ans Schattenboxen erinnern, kämpft die Figur gegen ein unsichtbares Gegenüber. Gegen wen oder für welches Ziel kämpft diese Figur? Ganz sicher für etwas, wofür es zu kämpfen lohnt – so ausdrucksstark und fesselnd ist die Performance mit dem Titel „Fire, everywhere“. Für die Künstlerin* thematisiert sie die Stigmatisierung und Widerstandsfähigkeit queerer Gemeinschaften. Dabei ist die Aneignung für Leman Sevda Darıcıoglu ein Werkzeug, um Hegemonie und Normensysteme zu unterlaufen, beziehungsweise eine Handlung, die suggeriert, als habe sie* bereits Macht über die Welt und könne Gegenwart und Zukunft bestimmen. Die Performance zieht Linien zwischen Gewalt und Ermächtigung durch die Symbolik des Boxens und Schlagens, versteht die offensive Aktion als eine verkörperte Forschung, um Formen des Widerstands und der Resilienz im Leben queerer Menschen zu zeigen und gleichzeitig die Frage zu stellen, wie man sich in diesem ständigen Kampf um sich selbst und andere kümmern kann.
Leman Sevda Darıcıoglu geht es aber nicht nur um Queerness, sondern um marginalisierte Menschen im Allgemeinen und um Systeme der Ausgrenzung, des Ausschlusses und der Privilegien. Ihre* Auffassung von Queerness ist nicht nur ein Verweis auf LGBTI+-Identitäten, sondern ein Tor zu einer Welt jenseits der Normen.
Wie alle Live-Performances, Videos, Installationen und öffentlichen Interventionen von Leman Sevda Darıcıoglu möchte auch „Fire, everywhere“ Menschen, die sich ausgegrenzt fühlen, das Gefühl geben, dass ihre Geschichten wertvoll sind und nicht im Dunkeln bleiben dürfen. Sie will die Schönheit ihrer Fragilität sichtbar machen und ins Bewusstsein rufen, wie stark wir alle in unserer Verletzlichkeit sind.
Text: Prof. Dr. Bernhart Schwenk
* Als Künstlerin*, die* mit dem binären Geschlechtersystem nicht einverstanden ist, verwendet Leman in Schriften das Pronomen „sie/ihr“ durchgestrichen und mit einem Sternchen.
Die* Kunstschaffende
