Kunstkalender 2022 – Kalenderblatt Oktober
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In unserem Fall handelt es sich um ein Werkstück aus Granit. Massiv und schwer zeigt es Abbruchkanten, Schnitte und Löcher, die auf einen früheren handwerklichen Arbeitsprozess hinweisen. Im Laufe dieses Entstehungsprozesses wurde das Werkstück, das als Bauteil einer Säule geplant war, anscheinend verworfen. Es bleibt rätselhaft, wann und wofür der Granitblock bearbeitet und wann er an der Kunstakademie liegengelassen wurde. Er war einfach da.
In den Augen und Händen von Julia Dietrich darf dieses Rätsel bleiben. Sie nimmt das Eindeutige auf: Die schwere Masse, deren Form zwischen Spuren der Bearbeitung und der Fertigstellung in einem Zwischenbereich stehen geblieben ist, wurde durch das Einbinden in einen neuen Kontext verändert. Die spontane Idee kombinierte das Säulenfragment, welches in seiner Massivität und Schwere vielleicht eine Last zu tragen hätte, mit der fast immateriellen Leichtigkeit von Nylonschnüren. Die Schnüre mit der hohen Zugfestigkeit halten den Stein in der Schwebe, sodass er nur auf einer schmalen Kante am Boden aufsitzt, wo seine Masse getragen wird. Die dezenten Linien dieser filigranen Aufhängung zeichnen sich in den umgebenden Raum und kontrastieren zum Volumen der schweren Masse. Mit dieser Inszenierung eines gefundenen Objekts erweitert Julia Dietrich den klassischen Prozess der Bildhauerei. Sie schafft eine neue sinnliche, ungewöhnliche Erfahrung des Materials, das seine Form und sein Rätsel behalten darf.
Text: Jochen Meister
Die Künstlerin
Foto Kunstwerk: © Diogo da Cruz