Kunstkalender 2021 – Kalenderblatt Dezember
Dabei ist der Gegenstand leicht auszumachen, der dieses Licht reflektiert. Es handelt sich um eine sogenannte Rettungsfolie, eine jener hauchdünnen Decken, die ein Auskühlen des Körpers verhindern sollen und in jedem Verbandskasten zu finden sind. Ein Wegwerfartikel, der durch die Inszenierung zu einer Kostbarkeit wird und zugleich ein Rätsel birgt. Die Folie ist, wie an den verchromten Beinen erkennbar, auf einem Stuhl drapiert. Doch was wird von ihr umhüllt?
Je genauer man das Motiv betrachtet, desto rätselhafter wird es. So stellt sich die Frage, wo dieser Stuhl eigentlich steht. Anstelle einer Landschaft, eines Horizonts gibt es eine Art zarten Wolkenhimmel, der die ganze Bildfläche einnimmt. Schwebt der Stuhl mit dem Folienkörper darin?
Das Motiv besitzt eine fiktive, scheinbare Realität. Die Malerin hat sie sorgfältig in einem traditionellen, langsamen Aufbau der Malschichten entstehen lassen. Liebe und Sorgfalt im Umgang mit dem Stofflichen sind zu spüren, auch wenn es sich bei der Folie eigentlich um ein billiges Material handelt. Die spiegelnde, goldene Oberfläche ist jedoch ein idealer Reflektor für Licht in tausendfachen Variationen. Der umgebende Himmel kontrastiert in Blau- und Grautönen, er umfängt den rätselhaft umhüllten Körper und scheint ihn schweben zu lassen.
Zu diesem Motiv lässt sich keine eindeutige Geschichte erfinden; der Fantasie bleiben viele Möglichkeiten, was es damit auf sich hat. Die Gedanken sind frei. Man kann sich auf das Licht als Symbol ebenso einlassen wie auf die spürbare, physische Energie der südlichen Sonne. Das Banale der Folie ist ebenso zu sehen, wie das Mysterium der Verhüllung. Letztlich dient das Motiv einer Konzentration auf die zeitlose sinnliche Überwältigung, die uns das südliche Licht bieten kann.
Text: Jochen Meister