Mitte der 90er-Jahre entdeckt Ralf Schweitzer ein Plakat, das einen Computerflohmarkt am Stadtrand von München ankündigt. Das ist die Gelegenheit! Denn im Zimmer des 15-jährigen Jungen hatte sich neben einem alten Monitor einiges IT-Gerät angesammelt. 200 D-Mark nimmt der Schüler ein, aber noch etwas anderes begeistert ihn: das große Interesse an gebrauchten Computerteilen. „Ich hatte das Glück, dass mein Vater jobmäßig viel mit der IT-Branche in Berührung kam. Er ist gelernter Feinmechaniker und hat ein Gehäuse entwickelt, in das man externe Festplatten wie CD-Laufwerke etc. einbauen kann”, erzählt Schweitzer. Immer wieder bringt er seinem Sohn Zubehör mit, das Betriebe ausgemustert haben. Und Schweitzer wartet auf den nächsten Flohmarkt.
Einige Zeit später kommt der Jugendliche mit einer Leasinggesellschaft für Computersysteme in Kontakt, von der er kontinuierlich gebrauchte Ware kaufen kann. Diese bietet Schweitzer auch über Inserate in der lokalen Zeitung an. Als die Leasingfirma einen großen Kunden gewinnt, bekommt sie von diesem auf einen Schlag einen Haufen gebrauchter Teile. Sie sucht zusätzliche Partner, die diese Mengen bewältigen können. Schweitzer lässt sich das Geschäft nicht entgehen. 1999 gründet er sein eigenes Gewerbe. Die jetzige Firma als GmbH & Co. KG gibt es seit 2006 – Gerry Schweitzer Datentechnik, kurz GSD – und war ursprünglich die Firma seines Vaters: „Ich habe, als ich noch 15 war, vieles über seine Firma laufen lassen. Irgendwann war es gesetzt, dass ich den Namen seiner Firma übernehme.”
Früher wurden gebrauchte Geräte nur äußerlich aufpoliert und weiterverkauft. „Damals war es technisch noch so, dass ein neues Betriebssystem immer eine neue Hardware benötigte. 70 bis 80 Prozent der alten Geräte wurden exportiert: nach Osteuropa oder nach Afrika.” Bis GSD 2009 als erster Händler in Deutschland einen Vertrag mit Microsoft abschließt: Über das „Microsoft Authorized Refurbisher”-Programm wird das Unternehmen direkter Microsoft OEM Partner und kann die Geräte dadurch mit dem neuesten Windows-Betriebssystem lizenzieren. Das führt zu einer Wende im Verkaufsbereich: Den bisherigen Exportkunden werden die aufbereiteten Geräte durch die zusätzlichen Kosten für die aktuelle Software zu teuer. GSD fängt deshalb an, sich stärker auf Händler in Deutschland zu fokussieren. Mit Erfolg: Heute bleiben mindestens 80 Prozent der Geräte in Deutschland oder in Europa.
Mit dieser neuen Ausrichtung beginnt auch der heutige Aufbereitungsprozess: „Wir bringen die Geräte nicht nur optisch wieder in einen Topzustand. Neben dem Wechsel von Verschleißteilen wie Akkus machen wir auch technische Upgrades – und bauen zum Beispiel einen größeren Speicher ein.” Große Unternehmen mit Arbeitsplätzen ab 50 aufwärts tauschen IT-Geräte oft nicht, weil sie kaputt oder zu langsam geworden sind. Es ist für sie schlichtweg billiger oder einfacher, ein neues Betriebssystem mit einer neuen Hardware auszurollen – weil zum Beispiel Sicherheitsfeatures wie eine Infrarotwebcam nötig sind, die eine Anmeldung per Gesichtserkennung zulässt.
Somit erhält GSD hochwertiges Equipment zur Aufbereitung. In der Vergangenheit war es ein harter Kampf für Schweitzer, an dieses Material zu kommen. Denn bei vielen Unternehmen wurden funktionstüchtige alte Geräte oftmals als Elektroschrott gesehen. „Ich hatte vor 14 Jahren noch Diskussionen mit großen Konzernen, die Tausende Notebooks einfach im Container entsorgten“, erinnert sich der IT-Fachmann. „Das ist nicht nachhaltig. Und es lohnt sich ja auch finanziell, ein Gerät weiterzuverkaufen.” Durch Nachhaltigkeitsrichtlinien denken mittlerweile viele Unternehmen anders. Auch auf Kundenseite ist das Interesse an „renewed“ Ware größer geworden: Heute wollen Händler aufbereitete Technik im Portfolio haben, da sie erkannt haben, dass im Gebrauchtbereich mehr Marge möglich ist.
Ein weiterer Punkt, den Schweitzer beachten muss: Bei manchen Modellen erhält man nur ein Einzelstück, bei anderen 10.000. Hat er größere Mengen, verkauft Schweitzer hauptsächlich an den Großhandel wie Notebooksbilliger, Cyberport oder Conrad, denn diese bieten einen Artikel erst an, wenn ein bestimmtes Volumen zur Verfügung steht. „Damit Einzelstücke aber nicht liegen bleiben, bieten wir diese über unseren eigenen Consumer-Onlineshop greenpanda.de zum Verkauf an, den wir 2011 aus genau diesem Grund eingerichtet haben”, erklärt Schweitzer.
GSD übernimmt alles, was in einem Unternehmen verwendet wird, darunter auch Server, Drucker, Videokonferenz-Lösungen und IP-Telefonie. Eine eigene Telesales-Abteilung betreut drüber hinaus kleinere Fachhändler, die zum Beispiel Arztpraxen oder mittelständische Handwerksbetriebe beliefern. Mitunter werden auch öffentliche Gemeinden, Stadtverwaltungen und Schulen mit aufbereiteten Produkten ausgestattet. Schweitzer und sein Team sind gut darin, sich an die immer neuen Anforderungen des IT-Markts anzupassen. Auch ein repräsentativer und sicherer Standort ist für Schweitzer immer wichtiger geworden: „Warum ich Geld in moderne und effektive Produktionsanlagen investieren möchte, musste ich bei vielen Bankgesprächen umfänglich erklären. Die Sache ist: Die Unternehmen vertrauen mir mit den Geräten auch ihre Firmendaten an. Wenn ich da in einer Hinterhofgarage sage, ich lösch das ganz sicher, könnte es schwierig werden, Projekte zu bekommen.”
Über seine Hausbank, die Volksbank Raiffeisenbank Dachau, wird der Unternehmer erstmals auf die LfA aufmerksam, die Schweitzer mit einem Innovationskredit 4.0 und einem Universalkredit unterstützt. Das ermöglicht der Firma 2017 den Umzug in einen Logistikpark in Sulzemoos. Neben Arbeitsbänken, an denen die erworbenen Geräte erfasst werden, gibt es auch einen eigenen Bereich für die professionelle Datenlöschung sowie Produktionsstraßen, an denen die Ware aufbereitet wird und Mitarbeiter neue Software-Programme installieren, bevor es in die Endreinigung geht und alles versandfähig verpackt wird. Drei Jahre später kann Schweitzer mithilfe des LfA Innovationskredits 4.0 weiter in die Digitalisierung investieren. Mit einer zukunfts- und wettbewerbsfähigen Multichannel-eCommerce-Plattform und einer Cloud-basierten Enterprise-Resource-Planning-Lösung schafft er die Grundlage für weiteres Wachstum. Ein Universalkredit bietet die Voraussetzung, das Warenlager weiter aufzustocken. Heute beschäftigt GSD um die 85 Leute – zwei Drittel davon im Produktionsprozess.
Was Schweitzer mittlerweile auffällt: Auch jüngere Generationen suchen vermehrt nach aufbereiteten Produkten. Der Kreislaufgedanke von GSD kommt dem Nachhaltigkeitstrend entgegen und ist auch preislich eine gute Alternative. Das bisher erfolgreichste Jahr war 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie. „Aber im Folgejahr schlug die Lieferkettenthematik bei uns auf. Wenn keine neuen Geräte aus Asien kommen können, werden natürlich auch die Arbeitsplätze vor Ort nicht neu ausgestattet.” Ebenfalls spürbar waren die Auswirkungen des Ukrainekriegs. Durch die mediale Präsenz von Energiekosten, Nebenkostennachzahlungen und dergleichen tendierte die Kaufbereitschaft der Kunden gegen null. Eine gute Entwicklung ist, dass das Bewusstsein bei Herstellern wieder in die richtige Richtung geht und die Produkte wieder leichter aufzubereiten und instandzusetzen sind. Das war einige Jahre durch den Branchenleitsatz „dünner & leichter“ in den Hintergrund geraten. Aber auch die EU macht mittlerweile gesetzliche Vorgaben zum Recht auf Reparatur.
Viele namhafte Hersteller kommunizieren daher proaktiv – vor allem im Business-Umfeld –, dass die Geräte für den Zweitmarkt optimiert sind. Schweitzer möchte in seinem Betrieb den Weg des Onlinehandels noch weiter ausbauen. Sein Plan ist es, auch interne Prozesse immer mehr zu digitalisieren, im Büro ebenso wie im Vertrieb und im Einkauf. So sollen künftig Onlineplattformen, Onlineanbindungen und Reporting vieles beschleunigen und erleichtern. Sich auf dem Erfolg ausruhen? Für Schweitzer keine Option!