Als sich Mitte März abzeichnet, dass den rund 300 Mitarbeitern des Autozulieferers Zettl wegen der Corona-Krise Kurzarbeit droht, suchen alle nach einer Lösung, einem Ausweg. Bei einem der eigentlich regelmäßigen Meetings des Unternehmens sammeln alle Mitglieder der Familie von Gründer Reinhard Zettl Ideen.
Eigentlich werden in Weng bei Landshut ja sogenannte Nähkleider für Automobilhersteller produziert, also Teile aus Leder für das Interieur. Edle Armaturen, Sitzbezüge, Türverkleidungen oder Konsolen zum Beispiel. Plötzlich ist klar: Atemmasken für Kliniken, Arztpraxen und Seniorenheime wären Hilfe in der Not. Und eine echte Alternative zur Kurzarbeit. Seit dem 20. März fertigt der Betrieb in drei Schichten Tag für Tag mehrere Tausend Masken für den Einmalgebrauch, mit der Hand, teilweise aber auch schon automatisiert.
„Der Materialfluss wird von der Bayerischen Staatsregierung organisiert“, so Geschäftsführer Zettl. „Die Herstellung von Materialkapazitäten ist sichergestellt.“ Geliefert wird das Material von Sandler, einem Hersteller von Vliesstoffen aus Schwarzenbach an der Saale. Die fertigen Masken, es sollen bis zu eine Million werden, verteilt das Technische Hilfswerk (THW). Und die ursprünglichen Kunden? „Wir produzieren weiter für die Automobilindustrie. Aufgrund der allgemeinen Situation aber auf niedrigem Stand.“ Durch die Maskenproduktion könne Zettl Interieur die Mitarbeiter weiterbeschäftigen, nahezu ohne Kurzarbeit.
Bei einem Vor-Ort-Besuch der Produktion von Gesichtsmasken in Weng gemeinsam mit Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger erklärt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder: „Wir werden auf Dauer enorm viele Masken brauchen. Ich glaube, dass wir am Ende in Deutschland Milliarden Masken benötigen.“ Das gilt nicht nur für das medizinische Personal und Alten- und Pflegeheime, sondern dann auch „in der breiten Entwicklung, wenn es um den Arbeitsschutz geht, das breite Miteinander“.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte unterscheidet zwischen selbst hergestellten Masken, medizinischem Mund-Nasen-Schutz und sogenannten filtrierenden Halbmasken, kurz FFP2 oder FFP3 genannt. Diese dienen auch dem eigenen Schutz, die anderen vor allem dem Schutz anderer vor möglicherweise infektiösen Tröpfchen.
Alkohol kann helfen
Die Schnapsbrennerei Penninger beliefert Krankenhäuser und Apotheken mit Neutralalkohol
Die Ersten sind die Kliniken am Goldenen Steig aus dem Landkreis Freyung-Grafenau. Mitte März fragen sie bei Stefan Penninger im niederbayerischen Waldkirchen nach, ob er auch Neutralalkohol liefern könne, zur Herstellung von Mitteln zur Desinfektion. Plötzlich herrscht nämlich überall Mangel.
Penninger stellt mit seiner traditionsreichen Brennerei normalerweise Liköre und Obstgeister her, diese Anfrage ist auch für ihn neu. Keine Frage, er kann spontan liefern, und nach den Kliniken folgen weitere Bestellungen von Apotheken und Krankenhäusern. Auch Behörden, Tierärzte und Bäckereien melden sich.
Der Einfachheit halber bietet Penninger den medizinischen Versorgern im Umkreis dann gleich von sich aus an, Vorräte an Neutralalkohol zu reservieren. Wahlweise vom 10-Liter-Kanister bis zum Container mit 1.000 Litern. Der Zoll vereinfacht kurzerhand die Vorgaben, unter denen alkoholsteuerbefreit geliefert werden kann.
„Für uns bedeutet die aktuelle Situation, dass wir beim neutralen Alkohol an unsere eiserne Reserve gehen mussten“, erzählt Brennereichef Penninger. Den hoch gereinigten Alkohol aus landwirtschaftlicher Herstellung bezieht er zum Beispiel zur Produktion von Schnäpsen wie dem bekannten „Bärwurz“.
Penninger: „Die Lage sieht allerdings so aus, dass neuer Neutralalkohol gar nicht mehr zu bekommen ist. Die gesamte am Markt verfügbare Menge geht an die Hersteller von Desinfektionsmitteln.“ Das Problem dabei: „Wir können in absehbarer Zeit nur noch sehr begrenzte Mengen unserer eigenen Produkte abfüllen und vermarkten. Das wird uns, je nach Dauer dieser Krise, noch vor große Herausforderungen stellen.“
Penninger geht es nicht anders als seinen Kollegen aus dem Landesverband der Bayerischen Spirituosenindustrie – wie Liebl in Bad Kötzting, Stettner in Kolbermoor oder die Bärwurz-Quelle, die vergleichbar agieren.
Zur Alltagsroutine im Schutz gegen das Coronavirus empfiehlt Penninger übrigens: „Kliniken und Pflegepersonal brauchen Desinfektionsmittel ganz dringend. Privatpersonen, die zu Hause bleiben, helfen aktiv, solch wertvolle Mittel zu sparen.“
Ochsenbacke to go
Das Restaurant Henrii ist die neue Attraktion im Herzen Bambergs. Wenn es geöffnet hat. In der Not gibt’s jetzt einen Lieferservice mit viel Gefühl fürs Gute
Schon die Speisekarte liest sich gut: zwei verschiedene Salate, einer davon mit Filetspitzen und Egerlingen. Sieben Gerichte aus hausgemachter Pasta, einige auch mit Jakobsmuscheln und Oktopus. Frische und mediterrane Kochkunst also – und ab und zu ein bisschen was Asiatisches. Aber auch Filets, ein Burger und eine geschmorte Ochsenbacke stehen drauf. Letztere kommt dann zwar in der Aluschale, wie die meisten der Speisen. Die Portwein-Jus wird separat verpackt.
Wer die feinen Speisen nicht selbst abholt, bekommt sie meist vom Chef persönlich geliefert, dem jungen Maximilian Beughold. Und Wein gibt’s auf Wunsch auch. Seit Anfang April hat das Bamberger Restaurant Henrii auf Bring- und Holservice umgestellt. „Henrii-Take-Away“ nennt sich das in der Krise entstandene Angebot. Zuvor war das Lokal seit dem 18. März geschlossen. Jetzt sind neben Beughold nur noch drei Mitarbeiter im Einsatz. Jeweils mittwochs bis freitags von 17 bis 21 Uhr und samstags und sonntags von 12 bis 20 Uhr.
Am Wochenende kann künftig auch ein richtiger fränkischer Braten bestellt werden, zubereitet vom rüstigen Vater des Küchenchefs. So, wie sich das halt gehört.
Hat sich das alles ein bisschen eingespielt, soll mittags auch für Bedürftige gekocht werden. Eintöpfe für die Bamberger Tafel zum Beispiel.
Beughold hat das angesagte Henrii im Mühlenviertel, es ist eine Mischung aus Tagesbar, Restaurant und Vinothek, erst im Februar 2019 eröffnet – mit Unterstützung der LfA. Vom Start weg war es nahezu jeden Abend ausgebucht. Die Terrasse draußen mit den 100 Sitzplätzen ist umgeben von den Armen des Flusses Regnitz. Sie bietet einen prachtvollen Blick auf das Alte Rathaus. All das ist zurzeit nur stille Kulisse.
„Die Corona-Krise wird uns schnell 100.000 Euro kosten“, sagt Beughold, der für seine Mitarbeiter Kurzarbeit beantragt hat und Soforthilfe aus dem „Bamberger Rettungsschirm“.
Der Henrii-Chef rechnet damit, dass sein Geschäft bis zu fünf Jahre brauchen wird, um die Folgen der Corona-Krise auch finanziell zu bewältigen. Aber so sei das eben mit den Lebensaufgaben. Es muss ja weitergehen.
Jetzt oder nie
Zwölf Konzerte musste Blaibach schon absagen. Intendant Thomas Bauer nutzt den Stillstand, um eine Initiative zur Förderung von klassischen Musikveranstaltern anzuschieben
Der Beethoven-Zyklus fällt aus. Das Pavel Haas Quartet, es gilt in Fachkreisen als „aufregendstes Streichquartett der Welt“, tritt nicht auf. Auch die Norwegian Army Band kommt erst mal nicht in den „Kulturgranit“ nach Blaibach, dieses spektakuläre Konzerthaus im Bayerischen Wald.
Insgesamt zwölf Konzerte musste Intendant Thomas Bauer bereits absagen, mit heftigen finanziellen Folgen. „Unter Umständen ist damit zu rechnen, dass durch die Corona-Krise die gemeinnützige Kulturszene in der Fläche Bayerns gänzlich verschwindet“, warnt er.
Gleich im März hat Bauer das Gespräch mit Bernd Sibler, dem Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, sowie dessen Ministerialrat gesucht. Eine Stunde sprachen sie in München miteinander und Bauer präsentierte eine Idee, die auch andere private gemeinnützige Veranstalter für klassische Musik unterstützen: die Bachwoche Ansbach zum Beispiel, der Kissinger Sommer, das Richard Strauss Festival in Garmisch, das Mozartfest Würzburg oder die Festspiele Europäische Wochen in Passau.
Zwischen 40 und 100 sogenannte Kleinveranstalter werden in Bayern nämlich bis jetzt durch den relativ kleinen Fonds der Allgemeinen Musikpflege gefördert. Für deren Projekte werden im Vorjahr Gelder beantragt, von deren Bewilligung die Veranstalter erst im Frühjahr der jeweiligen Saison erfahren. Auf dem Konto sind sie in der Regel dann nicht vor Juli.
„Für die Akteure ergab sich wegen der Freiwilligkeit der staatlichen Leistungen bis dato eine erhebliche Unsicherheit bei der Planung“, so Bauer. Durch die Corona-Krise drohen nun sogar Insolvenzen. Bauers Vorschlag: Anhand klarer Kriterien wie Programmqualität, Eigeninitiative oder Ticketumsatz könnte es künftig eine Evaluation der relevanten freien Träger im gemeinnützigen Bereich geben.
Auf Basis der Daten sollen dann „Leuchttürme“ identifiziert werden, die mit festgeschriebenen staatlichen Beteiligungen rechnen können und damit quasi als institutionell gelten. Eine Art „Exzellenz-Programm“ also. „Somit wäre ein nachvollziehbarer Einsatz von Steuermitteln garantiert, die Verzerrung des Wettbewerbs ausgeschlossen und lokalpolitische Planspiele eingedämmt“, erklärt der Intendant des Konzerthauses Blaibach. „Wir sprechen bei den Zuschüssen von zirka 20 Prozent der jeweiligen Haushalte, sodass wir weiter privatwirtschaftlich agieren.“
Es gehe um die Absicherung des gesamten Kulturlebens in Bayern, für eine überschaubare Summe. Klingt tatsächlich nach einer kleinen Revolution.
Draußen zu Hause
Zum Start seines kleinen Bergsportgeschäfts Eldorado in Nürnberg verzichtet Tobias Plail 2019 bewusst auf Internethandel. Und jetzt?
Diesen Mittwoch wird Tobias Plail wohl nie wieder vergessen. Den 18. März, an dem er die Tür seines Ladens exakt ein Jahr nach Eröffnung bis auf Weiteres schließen muss – wegen Corona: „Für mich als stationären Händler, der bewusst auf Internethandel verzichtet und auf Kundenkontakt und individuelle Beratung ausgelegt ist, ist eine angeordnete Schließung natürlich erst einmal der absolute Super-GAU.“
Noch am selben Tag veröffentlicht er auf der Website von Eldorado und auf Facebook einen emotionalen Appell, in dem unter anderem steht: „Ihr als Kunden habt es in der Hand, ob es weiterhin eine Vielfalt an Geschäften in eurer Umgebung gibt!“ Sein Angebot: Wer in der Zeit des Shutdowns einen Gutschein kauft, bekommt dafür nach Wiedereröffnung ein Extra von zehn Prozent.
Außerdem nimmt er nun auch per Mail, Facebook oder Telefon Bestellungen entgegen und liefert die Ware in Franken frei Haus aus: „Ob Griffboards, fix oder frei hängend, Yogamatten oder Lesestoff. Solange wir noch etwas auf Lager haben, können wir euch beliefern“, verspricht Plail seinen Kunden. Geht’s in die nähere Umgebung, kommt er gerne auch mal mit dem Fahrrad vorbei. Beraten kann er vorübergehend telefonisch oder per Mail. Sein Motiv: „Wir leben von den Menschen, die die gleiche Begeisterung für Sport und Natur teilen und sich darüber austauschen wollen und lokal einkaufen.“
Weil er aber weiß, dass es in diesen Zeiten Menschen gibt, die noch mehr Hilfe brauchen, hat der Bergsportverrückte mit anderen kleinen Outdoorläden in Nürnberg und Lauf eine Aktion namens „#buylocalanddonate“ gestartet: „Wir haben uns entschieden, zehn Prozent der Einnahmen während des Shutdowns jeweils zu einem Drittel an die Nürnberger Tafel, die Bahnhofsmission und das Sozialmagazin Straßenkreuzer zu spenden. Gemeinsam schaffen wir das, wir sind füreinander da!“
Das bisherige Feedback motiviere ihn sehr durchzuhalten: „Es geht uns als Einzelhändlern zwar nicht gerade gut in dieser Zeit, aber es gibt Bedürftige, denen es noch deutlich schlechter geht.“