Kunstkalender 2016 – Kalenderblatt Juni
Zeichnen statt Spülen bedeutete für Johanna Kanzler nun aber nicht, sich einem virtuosen Schaffensrausch hinzugeben, der das Notwendige vernachlässigte. Im Gegenteil: Die Dialektik zwischen dem, "was noch getan werden muss" und dem künstlerischen Schaffen in der durchaus mühevollen, kleinteiligen, oft korrigierten Zeichnung macht nachdenklich. Die Künstlerin hätte sich durchaus mehr Freunde in ihrer großen WG gemacht, wenn sie zum Schwamm statt zum Buntstift gegriffen hätte... und ließen sich nicht auch mit sauberem Geschirr die schönsten Stapel bilden? Aber genau darum, um eine rein bildnerische Komposition, geht es eben nicht. "Irgendwas bleibt auf der Strecke", meint Kanzler zu ihrem Konzept, entweder zu zeichnen oder zu spülen. Die Erkenntnis, die durch das Auferlegen des tagtäglichen Geschirrzeichnens, das einen Monat lang genau 30 Blätter hervorbrachte, gewonnen wird, kommt einer Sinnfrage gleich. Warum habe ich das gemacht? Aber schließlich ist doch ein Kunstwerk entstanden. Und der Ironiefaktor ist hoch. Denn das Ergebnis, die Porträts ungespülter Teller, Tassen, Töpfe usw., sind ja ein direktes Resultat der Verweigerung des Nützlichen – einer Attitüde, wie sie gern von "echter" Kunst gefordert wird.
Text: Jochen Meister
Die Künstlerin
