Menschen
Fotos: Conny Mirbach
Interview: Stefan Ruzas
"Ohne Nachhaltigkeit kollabiert das Wachstum"
Prof. Dr. Clemens Fuest ist Präsident des Münchner ifo-Instituts und einer der führenden Ökonomen Deutschlands. Ein Gespräch über Ideen.
Jetzt mal ehrlich, Professor Fuest: Was ist das überhaupt, nachhaltiges Wirtschaften?
Der Begriff des nachhaltigen Wirtschaftens kommt aus der Forstwirtschaft. Wenn ein Waldbesitzer seinen Wald erhalten will, sollte er nur so viele Bäume in einem Jahr fällen, wie in diesem Zeitraum nachwachsen. Es geht also darum, die Grundlagen des Wirtschaftens zu bewahren.
Ist der Begriff „Nachhaltigkeit“ rund 25 Jahre nach seiner Einführung nicht reichlich überstrapaziert?
Eingeführt wurde der Begriff bereits im Jahr 1713. In Mode gekommen ist er allerdings erst in jüngerer Zeit, und es gibt in der Tat einen leicht inflationären Gebrauch.
Aber Nachhaltigkeit steht doch fast in einem natürlichen Widerspruch zu Wirtschaftswachstum, oder?
Im Gegenteil. Ohne Nachhaltigkeit kollabiert das Wirtschaftswachstum irgendwann. Nachhaltigkeit bedeutet ja beispielsweise auch, einen Kapitalstock nicht zu verbrauchen, sondern Erträge hinreichend zu reinvestieren. Natürlich ist nicht alles, was unter dem Banner der Nachhaltigkeit getan wird, wirtschaftlich sinnvoll. Aber ein Widerspruch zwischen Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit existiert meines Erachtens nicht.
Die Bundesregierung hat Anfang 2017 die „Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie“ beschlossen. Haben derlei Beschlüsse spürbare Konsequenzen für Wirtschaft und Unternehmen in Bayern?
Nachhaltigkeitsstrategien legen zunächst nur allgemeine Prinzipien fest. Konsequenzen gibt es erst, wenn Gesetze geändert werden oder Konsumenten ihr Verhalten ändern.
Neuerdings ist es für Firmen zudem EU-rechtlich verpflichtend, über ihr Nachhaltigkeitsmanagement öffentlich Bericht zu erstatten. Allerdings gibt es bis heute keinen politisch gewollten Indikator, der die Zahl der Unternehmen mit einer solchen Nachhaltigkeitsberichterstattung misst. Ist das gut oder schlecht?
Unternehmen mit entsprechenden Berichten zu zählen sollte eigentlich nicht schwer sein. Ob die dann ermittelte Zahl sonderlich nützlich ist, darüber kann man allerdings sicherlich streiten.
Nach wie vor ist Nachhaltigkeit kein Staatsziel ...
Dadurch, dass Dinge zu Staatszielen ernannt werden, ändert sich nicht notwendigerweise viel, es kommt darauf an, was konkret getan wird.
Wird es trotzdem gelingen, das derzeitige Wirtschaftssystem in Deutschland auf nachhaltiges Wirtschaften umzustellen?
Nachhaltiges Wirtschaften gehört seit Jahrhunderten zu unserer Wirtschaft. Allerdings gab es immer wieder Bereiche, in denen nicht nachhaltig gewirtschaftet wurde, so zum Beispiel beim Umweltschutz oder in der Abfallwirtschaft. Hier sind erhebliche Fortschritte erzielt worden.
Was motiviert denn Führungskräfte und Manager am besten für einen Strategiewandel – Boni oder Gesetze?
Beides. Boni werden Manager erhalten, wenn sie im Interesse der Eigentümer handeln. Dort, wo die Interessen der Eigentümer von den gesamtwirtschaftlichen Interessen abweichen, muss der Staat mit Gesetzen eingreifen.
Es gibt ja mittlerweile auch 17 globale Nachhaltigkeitsziele, die von der internationalen Staatengemeinschaft vor zwei Jahren in der „Agenda 2030“ verabschiedet wurden. Sie reichen von „Keine Armut“ und „Erneuerbare Energie“ bis „Verantwortungsvoller Konsum“. Welche Rolle haben Ihrer Ansicht nach dabei die Unternehmen?
Sie sollten diese Ziele unterstützen, aber in erster Linie werden sie die Interessen ihrer Eigentümer verfolgen und sich an den rechtlichen Rahmenbedingungen orientieren.
Den neuen US-Präsidenten Donald Trump scheinen weltweiter Klimaschutz und die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen nicht sonderlich zu interessieren.
Nein, das ist bedauerlich, aber offenbar nicht einfach zu ändern. Trotzdem sollte man nicht aufhören zu versuchen, ihn umzustimmen.
Wäre es sinnvoll, echtes nachhaltiges Wirtschaften von Unternehmen durch eine verminderte Steuerlast zu belohnen?
Nein. Umweltverschmutzung beispielsweise sollte man mit zusätzlichen Steuern belasten, statt das Unterlassen dieser Verschmutzung zu belohnen. Das sagt jedenfalls das Verursacherprinzip.
Wie gelingt es denn überhaupt, nachhaltige Geldanlagen aus der Nische in den Mainstream zu holen?
Vermutlich nur dann, wenn diese Geldanlagen die gleiche Rendite erbringen wie andere auch.
Immer mehr Menschen haben den Eindruck, dass unser gegenwärtiges Verständnis von Wirtschaft – das darauf basiert, immer weiter zu wachsen – auf Dauer gar nicht mehr funktionieren kann. Stimmt das?
Anders als viele Menschen glauben, beruht Wirtschaftswachstum nicht in erster Linie auf dem Verbrauch physischer Ressourcen, sondern auf neuen Ideen. Das Wachstum endet erst dann, wenn uns die Ideen ausgehen. Ich sehe nicht, warum es jemals dazu kommen sollte.
Wie können denn Gewinnmaximierung und die Erwirtschaftung eines Mehrwerts im Sinne der Nachhaltigkeit künftig zusammenpassen?
Der Ordnungsrahmen, also Gesetze und Institutionen, muss so gestaltet sein, dass mit der individuellen Gewinnmaximierung auch das Gemeinwohl gefördert wird. Da das in vielen Gebieten ganz gut gelingt, ist die Marktwirtschaft, kombiniert mit dem demokratischen Rechtsstaat, jeder anderen bekannten Wirtschaftsordnung überlegen. Manche Experten haben den Eindruck, dass die meisten der Nachhaltigkeitsziele eher ein Projekt verschworener Eliten sind und nicht gerade ein gesellschaftliches Anliegen, das möglichst viele Menschen erreicht und teilhaben lässt. Wenn das so wäre, würde die Demokratie dafür sorgen, dass diese Ziele nicht verfolgt würden. Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Mehrheit der Menschen in unserem Land an Nachhaltigkeitsfragen interessiert ist.
Kann denn nachhaltiges Wirtschaften für ein mittelständisches Unternehmen in Niederbayern wirklich ein Wettbewerbsvorteil sein?
Das kommt darauf an, welchen Aspekt von Nachhaltigkeit man betrachtet. Wenn es darum geht, zum Beispiel höhere Umweltstandards einzuhalten als gesetzlich vorgeschrieben, lohnt sich das nur, wenn die Kunden das freiwillig bezahlen.
Es gibt ja Überlegungen, die externen Kosten von Produkten und Dienstleistungen zu messen und in die Preise zu integrieren. Soziale Kosten also, die Belastungen der Umwelt oder die Dienstleistungen in Ökosystemen, beispielsweise bei der Säuberung von Wasser. Was bringt diese Erfassung immer neuer Daten?
Das ist eigentlich ein altes Prinzip. Man verteuert Benzin, weil seine Verbrennung die Umwelt belastet. Wie genau und detailliert man dabei vorgeht, hängt unter anderem von der Datenverfügbarkeit ab. Sicherlich kann man das übertreiben.
Ohne Digitalisierung gibt es demnach keine Nachhaltigkeit?
Das eine hat mit dem anderen wenig zu tun.
Auf der „Green Economy Konferenz“ Ende 2016 in Berlin wurde empfohlen, Informationen und Instrumente zu nachhaltigem Konsum in realen Kontexten experimentell zu testen. Beispielsweise durch das Auflegen von Real-Laboren zu nachhaltigem Lebensmittelkonsum in drei Städten und Landkreisen, die dann wissenschaftlich begleitet werden. Ist so etwas sinnvoll?
Das ist pauschal nicht zu beurteilen. Es kommt auf die Kosten des Experiments und den erwarteten Ertrag an.
Spielt Nachhaltigkeit in Ihrem persönlichen Leben – ob im Haushalt, auf Reisen oder beim Auto – schon eine besondere Rolle?
Es ist nicht so, dass mich das Thema Tag und Nacht beschäftigt, aber ich lebe zum Beispiel in einem Haus, das mit Erdwärme beheizt wird, also ohne fossile Brennstoffe.